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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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gehe«, sagte ich ausdruckslos. »Und diesmal komme ich nicht wieder.«
    Ich lief aus der Küche. Schlüssel, Reisetasche, Handtasche. Auf dem Gartenweg holte Jonas mich ein.
    Weinend klammerte er sich an mich. »Nimm mich mit, Mami, du hast es versprochen!«

Zehn
     
    Wenig später saßen wir in Bennos Wohnung und spielten
    »Mensch ärgere dich nicht«. Jonas gewann jedes Spiel, weil ich mich nicht konzentrieren konnte. Nach fünf Runden hielt er plötzlich inne und fragte: »Gehen wir jetzt nie mehr nach Hause zurück?«
    Das war genau die Frage, die ich mir selbst die ganze Zeit stellte.
    »Doch, natürlich gehen wir zurück«, sagte ich, obwohl ich es nicht glaubte.
    »Wer wohnt hier?« wollte Jonas weiter wissen.
    »Ein Freund«, antwortete ich. Den Schlüssel hatte ich bei Benno im Laden geholt, Jonas hatte im Auto gewartet.
    Ich überlegte fieberhaft, was ich meinem Jungen sagen sollte.
    Einerseits wollte ich ihn nicht belügen, andererseits konnte ich ihm schlecht die Wahrheit erzählen. Wie erklärt man einem Fünfjährigen, daß man so furchtbar verletzt ist, daß man glaubt, nur durch Flucht den Schmerz ertragen zu können?
    Endlich entschloß ich mich, einen Versuch zu wagen.
    »Jonas, hör zu. Papa und ich, wir haben uns ganz furchtbar gestritten und ich bin … ich bin sehr wütend auf Papa. Damit die Wut aufhören kann, muß ich für eine Weile weg von zu Hause. Du darfst jetzt noch ein bißchen bei mir bleiben, aber heute abend bringe ich dich heim.
    Omi wird auf euch aufpassen und für euch sorgen.«
    Jonas hörte aufmerksam zu. Ich sah, wie es in seinem Kopf arbeitete.

    »Wohnst du dann nicht mehr bei uns?« fragte er.
    »Nein, für eine Weile nicht.«
    »Und wo wohnst du dann?«
    »Vielleicht erst mal hier, aber sonst weiß ich es noch nicht.«
    »Und wie finde ich dich, wenn ich dich besuchen will?«
    »Ich rufe dich jeden Tag an und sage dir, wo ich bin.«
    »Kann ich dich auch anrufen?«
    »Na ja, das kommt darauf an, wo ich gerade bin.«
    Jonas saß ganz still auf dem wild gemusterten Sofa, seine Beine reichten nicht auf den Boden. Mit großen dunklen Augen blickte er mich an. Er sah so hilflos und verloren aus, daß ich ihn aufschluchzend in meine Arme riß.
    »Ich hab dich lieb, mein Schätzchen, ich hab dich ganz wahnsinnig lieb. Ich verspreche dir, alles wird wieder gut.«
    Jonas nickte, Tränen kullerten über sein Gesicht und versickerten im Stoff meines Ärmels.
    »Ich will dich aber anrufen«, schniefte er.
    »Ich hab eine Idee!« rief ich und sprang auf.
    Eine Stunde später war ich im Besitz eines Mobiltelefons, dessen Nummer ich feierlich auf einen Zettel schrieb und Jonas überreichte.
    »Du bist der einzige Mensch auf der Welt, der diese Nummer kennt«, sagte ich. »Niemand darf wissen, daß du sie hast. Papa nicht, Lucy nicht und Omi nicht. Es ist ein Geheimnis zwischen dir und mir, verstanden?«
    Jonas nickte aufgeregt.
    »Und wenn ich diese Nummer wähle, kann ich dich immer erreichen?« vergewisserte er sich.

    Ich nickte. »Ich werde das Telefon immer bei mir tragen, und wenn es klingelt, weiß ich, daß du es bist. Du darfst nur die Nummer nicht verlieren.«
    »Die lerne ich auswendig«, prahlte Jonas. »Du, Mami«, fuhr er fort, »werde ich jetzt schwul?«
    Verblüfft schaute ich ihn an. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Im Kindergarten sagen sie, wenn Eltern immer streiten, werden die Kinder schwul.«
    »Weißt du überhaupt, was das heißt?«
    Jonas schüttelte den Kopf.
    »Aber es ist was ganz, ganz Schlimmes!«
    Ich lachte.
    »Erstens ist es überhaupt nichts Schlimmes, und zweitens ist das Quatsch, was die Kinder sagen.«
    Benno staunte, als er nach Hause kam und außer mir auch meinen Sohn vorfand.
    »Wie viele Mitglieder hat Ihre Familie?« fragte er lächelnd und strich Jonas scheu mit der Hand übers Haar.
    »Keine Sorge«, gab ich zurück und stand auf, »mehr werden es nicht. Ich bringe Jonas jetzt nach Hause. Darf ich … kann ich später wiederkommen?«
    »Soll ich ihn fahren?« fragte er statt einer Antwort.
    Einen Moment lang erschien die Idee verlockend. Aber dann fiel mir ein, daß Friedrich sofort wüßte, wo ich war, wenn er Benno sähe.
    »Nein, danke, das mach ich schon selbst.«
    Als wir uns dem Haus näherten, fühlte ich mich erschöpft. Meine Wut war einer lähmenden Traurigkeit gewichen, am liebsten wäre ich hineingegangen und hätte mich einfach in mein Bett gelegt. Aber ich spürte genau, daß ich rausmußte aus jenem Leben, dessen

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