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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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entgegen.
    »Hi, Mami«, begrüßte sie mich mit Unschuldsmiene. Sie hielt mir einen Zettel hin. »Du, da hat ein Typ für dich angerufen. Schiller … oder Goethe oder so ähnlich.«
    »Rilke?« fragte ich, und mein Herzschlag beschleunigte.
    »Kann auch sein.«
    Ich schnappte mir den Zettel und sah Lucy streng an.
    »Wir sprechen uns noch!«

Zwölf
     
    Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, daß ich die Arschlochkarte gezogen hatte. Meine Mutter hielt mir Moralpredigten und besetzte mein Haus, meine Tochter war außer Rand und Band, mein Mann betrog mich, die Nachbarschaft tratschte über mich. Und als hätte ich nicht genug Probleme, rückte mir dieser Dreiundzwanzigjährige auf den Leib.
    »Du hast was bei uns vergessen«, behauptete Rilke am Telefon.
    Ich war ganz sicher, daß ich nichts vergessen hatte.
    »So, was denn?«
    »Einen Lippenstift. Sieht teuer aus.«
    »Ach, wie blöd«, gab ich vor, mich zu erinnern, »der gehört meiner Freundin. Muß mir aus der Tasche gefallen sein.« Wem auch immer dieser Lippenstift gehörte, ab sofort war es meiner.
    »Soll ich ihn dir vorbeibringen?«
    Ich wollte schon zustimmen, da fiel mir ein, mit welchem Blick Männer Sabines Eieruhrfigur zu liebkosen pflegten. Dieser Versuchung mußte ich ihn nicht unbedingt aussetzen.
    »Laß nur, ich hole ihn bei Gelegenheit«, wiegelte ich ab, »wann bist du zu Hause?«
    »Jetzt«, sagte Rilke.
    Als ich den Hörer aufgelegt hatte, war ich schlagartig so aufgeregt, daß mir die Hände zitterten. Vielleicht war es auch der Schlafentzug, immerhin war ich seit fast vierzig Stunden wach.

    »Habt ihr was zum Aufwachen im Haus?« fragte ich Sabine.
    »Tee, Kaffee, Red Bull, Hallo-Wach, Sekt und Melatonin«, rasselte sie runter. »Ich empfehle Red Bull mit Sekt. Schmeckt beschissen, kommt aber gut.«
    »Und das Melatonin?«
    »Ist mehr ’ne Langzeit-Therapie, verzögert den Alterungsprozeß des Körpers.«
    »Her damit«, befahl ich, »die doppelte Dosis.«
    Nervös klingelte ich wenig später an der Tür von Rilke, Hartmann und Nicki. Rilke machte auf. Durch den hohen, dunklen Flur hallte mir die Melodie von »Stairway to heaven« entgegen.
    Er trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt, unter dem sich sein Brustkorb abzeichnete. Seine Füße waren nackt, mit einem Blick sah ich, daß er schön geformte, intelligent aussehende Zehen hatte. Es gibt Füße, die dumm aussehen, und die konnte ich nicht leiden.
    Rilkes Haare waren feucht, um den Hals hatte er ein Handtuch gelegt, wie ein Boxer, der in den Ring steigt.
    Er sah mich an, mit diesem herausfordernden Lächeln im Mundwinkel und in den Augen, und wieder wurde ich verlegen und ein bißchen ärgerlich.
    »Nett von dir, daß du angerufen hast«, begrüßte ich ihn und versuchte, locker zu klingen, »ist dumm, wenn man was liegenläßt, was einem nicht gehört.«
    »Ich hab gar keinen Lippenstift gefunden«, sagte Rilke, und bevor ich was erwidern konnte, nahm er mich in den Arm und küßte mich.
    Was fiel diesem Bengel ein? Ich stemmte meine Handflächen gegen seinen Oberkörper und wollte ihn wegschieben. Im nächsten Moment krallten sich meine Finger in sein T-Shirt, und ich zog ihn so nah zu mir, wie es nur ging. Er schob mich in sein Zimmer, wir fielen auf die Matratze und knutschten wie zwei Teenager.
    In meinem Kopf drehte sich alles. Ich ließ mich hineinfallen in seine Umarmung, fühlte die warme, zarte Haut seines Halses an meiner Wange, schnupperte seinen Duft nach Seife, Schokolade und Sonne und schmeckte diesen Mund, der so trotzig schmollen und so wunderbar lächeln konnte.

    Ich bin sechzehn und verliebt wie noch nie in meinem Leben. Julian ist eine Klasse über mir, seit der Party bei Britta gehen wir miteinander. In der Schuldisco tanzen wir Stehblues, in der großen Pause knutschen wir hinter der Turnhalle, beim Jethro-Tull-Konzert rauchen wir unseren ersten Joint.
    Die Osterferien stehen bevor, und ich habe einen Horror davor, ihn zwei Wochen nicht zu sehen. Wird er mit seinen Eltern verreisen! Wird er mich anrufen! Wird er mich nach den Ferien noch lieben! Am letzten Schultag lädt er mich für den Abend zu sich nach Hause ein. Seine Eltern sind weggefahren, der große Bruder ausgegangen. Ich stelle keine Fragen.
    Wir sitzen vor dem Fernseher, trinken Cola mit Rum und essen Erdnußflips bis zum Testbild. Ich sollte längst zu Hause sein, statt dessen knutschen wir auf dem Teppich, bis mein Slip naß ist und ich Bauchschmerzen habe vor Erregung. Warum tut er nichts!

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