Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
Vom Netzwerk:
zurückgeschickt, diese Ignoranten.

Neunzehn
     
    Ich hatte die Hoffnung auf einen Job fast schon aufgegeben und studierte bereits die Stellenangebote für Reinigungspersonal, da meldete sich zu meiner Überraschung ein Radiosender. Dort hatte ich gar keine Kassette hingeschickt. Sollte Rilke vielleicht ohne mein Wissen …?
    »Hier Radio Süd, mein Name ist Wüster, spreche ich mit Bella Schrader?« fragte eine weibliche Stimme.
    Ich war überrascht, mit meinem »neuen« Namen angesprochen zu werden.
    Frau Wüster (die Arme, hoffentlich sah sie nicht aus, wie sie hieß) bedankte sich für die Kassette und fragte, ob ich Zeit für ein kurzes Probesprechen hätte.
    »Sie haben eine gute Stimme, aber natürlich müssen wir testen, ob sie sich fürs Radio eignet.«
    Viel versprach ich mir nicht davon, aber ich hatte wahrhaftig nichts Besseres zu tun, also sagte ich zu.

    Ein paar Tage später fand ich mich in einem kleinen Aufnahmestudio wieder, Kopfhörer auf den Ohren und ein Stehpult mit eingebautem Mikrofon vor mir.
    Durch eine Glasscheibe sah ich in einen zweiten Raum, in dem sich lauter Apparate befanden, die von einer Technikerin bedient wurden. Ich konnte ein Gefühl der Bewunderung nicht unterdrücken. Es sah einfach toll aus, wie sie mit den vielen Schaltern und Knöpfen umging.
    Frau Wüster, die ganz gegen meine Erwartungen eine hübsche junge Frau mit einer kecken Igelfrisur war, gab mir Anweisungen über Kopfhörer.

    »Also, der Text heißt: ›Hallo, hier ist Radio Süd. Heute um drei gibt’s wieder den Radio-Talk am Nachmittag. Zuhören, Anrufen und Mitdiskutieren unter der Nummer 8884234.‹ Schaffen Sie das?«
    Ob ich es schaffte, drei Sätze aufzusagen? Das war ja lächerlich. Ich nickte und verkniff mir eine spitze Antwort.
    »Wenn das rote Licht vor Ihnen leuchtet, fangen Sie an.«
    Ich starrte auf die Lampe an der Studiowand und wartete.
    Als das Licht plötzlich aufleuchtete, erschrak ich so, daß ich erst mal nicht wußte, was ich sagen sollte.
    Beim zweiten Anlauf kamen wenigstens Teile des Textes heraus.
    »Hallo, hier ist Radio Süd. Morgen … äh, heute um drei gibt’s wieder die Radio-Talk-Show am Nachmittag. Rufen Sie an und diskutieren Sie mit unter 8 884234.«
    »Bitte halten Sie sich genau an den Text«, forderte mich Frau Wüster auf. Ich sagte den Spruch zum zweitenmal, zum drittenmal.
    »Das klang noch ein bißchen wie eingeschlafene Füße«, hörte ich Frau Wüsters fröhliche Stimme, »aber machen Sie ruhig weiter, das wird schon.«
    Ich sprach den Satz in allen denkbaren Variationen.
    Feurig, freundlich, auffordernd, marktschreierisch, sanft, verführerisch, höflich. Ich sprach ihn langsam, schnell und mittelschnell; ich betonte einmal »Radio Süd«, beim nächsten Mal »Radio-Talk«, beim dritten Mal »Anrufen«.
    Ich verhaspelte mich mehrmals bei der Telefonnummer und versuchte, die Zahlen so zu sprechen, daß sie sich gut einprägten. Nach ungefähr dreißig Versuchen war Frau Wüster zufrieden. Oder tat jedenfalls so.
    »Das war doch schon ganz prima, dafür, daß Sie so was noch nie gemacht haben! Vielen Dank für heute, wir melden uns.«
    Sie schüttelte mir die Hand, und schon blinzelte ich ins helle Sonnenlicht, das mir nach der Stunde im düsteren Studio grell in die Augen stach.
    Das war ja keine besonders ermutigende Erfahrung.
    Vermutlich hatte ich mehr Talent zur Putzfrau. Ich beschloß, das Thema Radio abzuhaken. Aber die Frage, wie ich an Kohle kommen sollte, blieb.
    Ich erinnerte mich daran, daß ich bis vor nicht allzulanger Zeit eine relativ wohlhabende Mittelstandsgattin war. Es mußte doch irgendwas in meinem Besitz Befindliches geben, das man zu Geld machen konnte? Am nächsten Vormittag, als alle meine Lieben ausgeflogen waren, fuhr ich in unser Haus. Ich durchwühlte die Schubladen nach den paar Wertsachen, die mir gehörten.
    Zu blöd, daß ich mir nichts aus Klunkern machte. All die Jahre war Friedrich nie etwas eingefallen, das er mir hätte schenken können, aber ich war nicht auf die Idee gekommen, mir Schmuck zu wünschen. So besaß ich nur einen Stapel Gutscheine für allerhand Kurzreisen und Fortbildungsmaßnahmen, von denen ich nie Gebrauch gemacht hatte. Sein einziges »richtiges« Geschenk, die blau-grüne Obstschale aus der Toskana, war bezeichnenderweise zu Bruch gegangen.
    Schließlich fand ich das Rubinarmband, das mir Friedrichs Eltern zur Hochzeit geschenkt hatten, unseren Verlobungsring, der angesichts unserer damaligen finanziellen

Weitere Kostenlose Bücher