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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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befördert worden«, riet ich.
    »Nein.«
    »Jemand ist gestorben?«
    »Nein.«
    »Jemand hat ein Kind gekriegt.«
    »Alles falsch. Jemand heiratet.«

    Das war mir scheißegal, aber um ihm eine Freude zu machen, spielte ich die Erstaunte.
    »Ach nein, ehrlich? Wer traut sich denn das heutzutage noch?«
    »Deine Mutter.«
    Die Überraschung war gelungen. Ich sagte nichts.
    »Jetzt bist du platt, was?« triumphierte Friedrich am anderen Ende der Leitung.
    »Äh … ja, also ehrlich gesagt, schon. Wann und wo soll denn das stattfinden? Sind wir überhaupt eingeladen?«
    »Klar sind wir eingeladen.«
    Er nannte mir das Datum und sagte: »Sie heiraten auf dem gleichen Standesamt wie wir damals.«
    »Hoffentlich bringt ihnen das mehr Glück.«
    Friedrich schwieg einen Moment, ich spürte, daß ich ihn verletzt hatte.
    »Tut mir leid, ist mir so rausgerutscht. Danke, daß du Bescheid gesagt hast.«
    Das war also Freitag in zwei Wochen. Standesamt um elf, danach Essen in einem noblen Gasthof auf dem Land.
    Womöglich war Martin auch noch reich, und Queen Mum hatte auf ihre alten Tage eine gute Partie gemacht.
    Ich hatte das dumpfe Gefühl, ich müßte bei meiner Mutter anrufen und ihr gratulieren. Wir hatten seit ihrem überstürzten Abgang nicht mehr miteinander gesprochen, und mir war unwohl bei dem Gedanken, den ersten Schritt zu machen. Abgesehen davon fand ich diese Hochzeit voreilig, um nicht zu sagen überflüssig. Wozu um alles in der Welt mußte sie heiraten? Den halben Tag schlich ich unschlüssig ums Telefon herum, schließlich gab ich mir einen Ruck.
    »Hallo, Mummy, ich wollte mich für die Einladung bedanken.«
    »Hallo-ho, mein Anna-Kind, schön, daß du anrufst!
    Kommt ihr denn zu unserer kleinen Feier?«
    Ihre Stimme strotzte vor Fröhlichkeit.
    »Klar kommen wir.« Blieb uns ja wohl nicht viel anderes übrig.
    »Du klingst so … so mißmutig?«
    »Nein, gar nicht. Es ist nur ein bißchen ungewöhnlich, auf die Hochzeit der eigenen Mutter zu gehen.«
    »Freust du dich denn nicht für mich?«
    »Natürlich freue ich mich. Ich verstehe es nur nicht.«
    »Was verstehst du nicht?«
    »Na, daß du in deinem Alter noch mal heiraten mußt. Ihr könntet doch so zusammenleben. Man ist da heute nicht mehr so.«
    Queen Mum lachte.
    »Ich mache das keineswegs aus Gründen der Konvention. Du wirst es nicht glauben, mein Anna-Kind, aber ich will Martin einfach gerne heiraten!«
    Dagegen konnte ich schlecht was sagen. Ich empfand es irgendwie als Verrat an meinem toten Vater, aber das würde sie nicht verstehen. Also beglückwünschte ich sie, betonte mehrmals, wie sympathisch ich Martin fände (was sogar den Tatsachen entsprach) und verabschiedete mich.
    Mit dem Gefühl, irgendwie verwaist zu sein, legte ich den Hörer auf.
    Was sollte ich den beiden bloß schenken? Vielleicht einen Tantra-Kurs für Senioren? Einen Ratgeber
    »Glücklich im Alter«? Eine Jahreslieferung
    »Doppelherz«? Ich schämte mich für meine hämischen Gedanken und beschloß, ein besonders schönes und teures Geschenk zu kaufen.
    Die Frage war nur von welchem Geld. Meine finanzielle Lage war bedenklich, ich mußte schnellstens einen Job finden. Das erste Mal überlegte ich, was ich eigentlich gerne tun würde. Natürlich! Die Kindergeschichten.
    Ich fragte Rilke, ob ich seine Anlage benutzen dürfte, und nahm in tagelanger Arbeit eine Demo-Kassette auf.
    Ich hatte mir von Jonas und Lucy einen Stapel Kinder-und Jugendbücher ausgeliehen und las jeweils ein Kapitel aus jeder Geschichte. Ich suchte ganz unterschiedliche Bücher heraus, weil man hören sollte, daß ich spannende Geschichten genausogut lesen konnte wie lustige und traurige. Ich zog fünfzehn Kopien und verschickte sie an Audiofirmen und Verlage.
    »Schick doch auch ein paar an die Radiosender. Die brauchen immer Sprecher«, schlug Rilke vor.
    »Dafür braucht man sicher eine spezielle Ausbildung«, zweifelte ich.
    »Versuch’s wenigstens«, beharrte er, aber ich traute mich nicht.
    Tagelang passierte nichts. Ich lauerte auf den Briefträger und raste jedesmal ans Telefon, wenn es klingelte. Klar, an Sprechern war sicher kein Mangel, die konnten sich Zeit lassen.
    Nach einer Woche kam die erste Absage, danach folgten fast täglich welche. Es waren immer die gleichen, nichtssagenden Floskeln. Leider habe man derzeit keinen Bedarf, aber natürlich werde man gegebenenfalls gern auf mich zurückkommen. Wütend knüllte ich die Briefe in den Papierkorb. Nicht mal meine Kassetten hatten sie

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