Am Anfang war der Tod
doch gar nicht. Wahrscheinlich würde sie sogar eine sehr gute Polizistin werden. Genau wie Nancy. Aber Nancy hatte einen Fehler gemacht, und deshalb war sie jetzt tot. Andere Polizisten hatten ebenfalls Fehler gemacht. Auch sie lebten nicht mehr.
Nebel und Spiegel …
Lazarus.
Und wenn der Typ nun doch nicht verrückt gewesen war? Vielleicht hatte er ja gar keine Stimmen gehört. Eines der Sektenmitglieder hieß möglicherweise Lazarus.
Er wünschte, Bordon säße ihm noch einmal gegenüber. Wenn es doch nur legal wäre, ihn zu zwingen, alles zu sagen, was er wusste.
Es war zum Verzweifeln. Er war sicher, dass die Antwort in greifbarer Nähe lag. Er konnte sie nur nicht sehen. Nebel und Spiegel. Bordon hatte geschworen, dass er nichts mit Nancy zu tun gehabt hatte. Jake hatte sie nie mitgenommen, als er die Mitglieder der People of Principles verhört hatte. Zweimal war er zu ihnen hinausgefahren, und jedes Mal allein. Beim ersten Mal hatte sie mit dem Touristen gesprochen, der die zweite Leiche gefunden hatte. Beim zweiten Mal war sie damit beschäftigt gewesen, die Unterlagen von Bordons geschäftlichen Transaktionen zu studieren.
Und dann war sie verschwunden.
Seltsam. Bordon hatte sie nie kennen gelernt, aber er schien alles über sie zu wissen. Auch über ihre Probleme mit Brian.
Nebel und Spiegel. Lazarus.
Schlaf mal drüber, sagte er sich erschöpft. Vielleicht würde er morgen klarer sehen.
Er schloss die Kajütentür der
Gwendolyn
ab und ging zu Bett. Doch er konnte lange nicht einschlafen.
In dieser Nacht träumte er erneut.
Er befand sich in einem Wald voller Spiegel. Ein alter Mann in einem langen weißen Gewand lief zwischen den Bäumen hindurch. Lazarus, von den Toten auferweckt.
Die Spiegel lösten sich in winzige Kristalle auf und verwehten wie Staub im Wind. Der Wald verschwand, und nun sah er das Ufer neben dem Hafen. Eine Frau kam auf ihn zu. Schlank, geschmeidig, sinnlich. Sie bewegte sich aufreizend langsam. Ihre weiße Haut schimmerte im Mondlicht. Die Haare schienen in Flammen zu stehen.
Sie war nackt.
Langsam schritt sie über die Pier.
Eine Sekunde später stand sie auf dem Boot. Dicht vor ihm. Und im nächsten Moment …
Schweißgebadet fuhr er aus dem Schlaf hoch. Er fluchte.
Der Traum war so real gewesen. Inzwischen war er hellwach. Verdammt, er sollte nicht sofort von der Arbeit nach Hause gehen. Er war ja geradezu besessen von dem Fall. Er musste mal wieder unter Leute. Heute Abend wollte er in einen Club gehen, der am Strand lag.
Reglos lauschte er in die Dunkelheit. Hatte der Traum ihn aufgeweckt? Oder ein Geräusch? Leise schlüpfte er aus dem Bett und lief mit gespitzten Ohren durch das ganze Boot. All seine Sinne waren hellwach. Da war etwas – ein Laut, der nicht vom Boot kam. Sondern irgendwo aus der Nähe.
Nun ja, er lebte schließlich nicht allein hier draußen. Ein Nachbar war nach Hause gekommen und auf sein eigenes Boot gegangen. Oder jemand hatte Nicks Bar verlassen. Oder Nick hatte seinen Abfall nach draußen gebracht.
Aus dem Nachttisch neben seinem Bett holte er die Pistole aus der Schublade. Dann lief er durchs Wohnzimmer und öffnete die Tür, die aufs Deck führte.
Er trat ins Freie. Die Nacht war still. Bis auf das Plätschern des Wassers gegen die Boote oder die leisen Schläge, wenn die Flut die Schiffe gegen die Stützpfeiler der Anlegestellen trieb, war kein Laut zu hören.
Er sprang auf die Pier und schaute sich um. Kein Mensch war zu sehen.
Dann blickte er hinüber zur Wiese.
Ashley Montague stand in der Tür. Sie trug ein langes, weites T-Shirt.
Noch nie in seinem Leben hatte er so etwas Erotisches gesehen.
Ohne sich zu rühren, schaute er sie unverwandt an. Er war sich im Klaren darüber, dass sie ebenfalls zu ihm hinüberblickte.
Er stieg über den niedrigen Holzzaun und ging zu ihr hinüber. Sie bemerkte die Pistole in seiner Hand. Dann schaute sie ihm ins Gesicht.
„Wollen Sie mich jetzt verhaften?“ fragte sie, während sie stocksteif stehen blieb.
„Nein. Was machen Sie denn hier draußen?“
„Ich habe ein Geräusch gehört. Und was machen Sie?“
„Ich habe auch etwas gehört.“
„Vielleicht haben wir uns gegenseitig gehört?“ fragte sie.
„Möglich.“
Eine leichte Brise war aufgekommen, sanft und kühl. Sie schauten sich immer noch in die Augen. Er konnte ihr Atmen hören, sah, wie ihre Brüste sich unter dem weichen Baumwollstoff hoben und senkten.
„Sie haben eine Pistole.“
„Sie ist
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