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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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schob, die untere Zahnreihe vor die obere klemmte. Wie eine Kampfdogge sah sie aus. Und dasselbe Gesicht, wenn sie den Kater im Schoß hielt. Erst zart, dann heftig schmuste. Ihn, sich festkrallend, kraulte. Und wie der Kater nahm Mesmer sich in Acht vor ihrer Zärtlichkeit. Die sachte begann. Und gewaltig endete. Wie stark er sei. Wie stattlich. Wohlgestalt. Wie stabil, und verlässlich. Inzwischen schlug sie ihm so heftig auf den Rücken, als wolle sie die geliebte Stabilität fällen wie eine Weihnachtstanne.
    Auch seine Frau Anna schwärmt von seiner Kraft. Bei solchen Gelegenheiten klammert sie sich an seinen Arm. Legt ihren Kopf an seine Schulter. Wenn er auch nur zuckt mit dem Bizeps, will sie ihn küssen. Auf der Stelle. Auf mehr als den Mund.
    Marias Gesicht bleibt entspannt. Ihre Hände können ihn, wo er steht, nicht fassen. Auch nicht, wenn sie die Arme ausstreckte.
    Er beginnt sich zu bewegen. Wiegt sich in den Hüften. Verlagert das Gewicht von einem aufs andere Bein. Hebt Arme, Hände in weißen Handschuhen. Zeichnet Ornamente in die Luft. Wie die orientalische Tänzerin, von der Messerschmidt aus Rom berichtete. So tanzt er. Wie auf langsamste Musik.
    Augen auf. Sagt er.
    Sie gehorcht.
    Zum ersten Mal sieht er ihren Blick auf sich. Wie er auf ihn fällt. Und wie ihr Kopf diesem Blick folgt. In klitzekleinen, echohaften Bewegungen. Und die Fülle ihrer Aufmerksamkeit. Und wie es sie anstrengt, ihre Gedanken von allem, was war und was sein wird, abzuziehen. Sehen strengt sie sichtlich an. Sie ahnt, dass von dem Grad ihrer Aufmerksamkeit ihre Erkenntnis abhängt, notiert er im Kopf.
    Sie sagt nichts. Was soll sie auch sagen.
    Er beginnt sich zu drehen. Langsam, unmerklich wie die Erdkugel.
    Sie hält den Kopf ruhig, blinzelt. Eine Weile. Eine ganze schweigende Weile lang lässt sie ihn gewähren.
    O Gott, wie fürchterlich, sagt sie dann. Wendet sich ab. Die Hände schnellen vors Gesicht.
    Ob sie Schmerzen habe.
    Sie erstarrt. Verfällt in einen Krampf … Sie weint? Er geht zu ihr. Nein, Gott sei Dank. Sie weint nicht. Aber was … Er hält inne. Beobachtet, wie sie zwischen den Fingern hindurchblinzelt. Ein nächster Krampf erfasst sie.
    Zu viel des Guten, will er wissen. Ob sie ihn …?
    Ihr Körper schüttelt sich. Sie kann nicht sprechen. Sie lacht. Bebt vor Lachen.
    Bei meinem Anblick, notiert er im Kopf, zeigen ihre Nerven eine Reaktion völliger Überreizung.
    Was denn so komisch sei, sagt er.
    Er wartet. Bis sich der Aufruhr legt.
    Nein …. Nur … dieses Dings da.
    Was sie meine?
    Na, dieses … dies anstößige Ding da, sagt sie … da … in Ihrem Gesicht ….
    Das ist meine Nase.
    Ein lautloser Lachkrampf, der ihren Leib erschüttert.
    Entschuldigung. Das sieht so merkwürdig aus, gefährlich, sagt sie, und lustig, diese Nase … als drohe sie mir. Als wolle sie mir die Augen ausstechen. Sie krümmt sich. Kniet nieder. Klemmt die gestreckten Arme zwischen die Schenkel. Sie kann weder sprechen noch schweigen. Richtet sich auf. Streckt die Arme nach ihm. Nach seiner Nase.
    Er macht einen Schritt auf sie zu.
    Um Gottes willen! Sie weicht zurück. Er solle stehen bleiben! Er werde sie erstechen mit dem Dings da.
    Kaum rührt er sich, lacht sie. Und lacht. Bekommt kaum Luft. Das Lachen verselbstständigt sich. Ohne Luft, notiert er, und ohne dass etwas lustig ist. Wie soll er es nennen? Ein unterirdisches Erdbeben, eine Lawine. Eine hysterische Gewalt aus dem heiteren Himmel der dunklen Natur.
    Sie ringt um Luft. Er ruft den Hund zu Hilfe, der unterm Tisch so tut, als schlafe er.
    Augenblicklich beruhigt sie sich. Lockt den Schwarzen mit ihren Händen und höchsten, süßesten Tönen. Komm schon. Sie schnalzt mit der Zunge. Na komm, kleiner Teufel.
    Sie hält ihm die geschlossene Hand hin, lässt ihn schnuppern. Öffnet sie, um ihn zu streicheln. Als er weg will, zu Mesmer hin, hält sie ihn am Halsband.
    Bleib, stures Vieh. Und dann: Ich glaube, Hunde sind schöner als Menschen. Schon allein die Nase. Dem Hund stehe sie. Sie passe in sein Gesicht. Besser als Mesmers in Mesmers. Ob er wisse, wovon sie spreche?
    Na ja …, sagt er. Im Prinzip. Vielleicht. Und: Gratuliere.
    Er könnte sie umarmen, sich umarmen. Er hat es geschafft.
    Gratuliere.
    Er wiederhole sich.
    Das sei die Bedingung eines solchen Moments, sagt er und schaut, wie sie ihn ansieht.
    Sie habe es geschafft, sagt er.
    Woher er das wisse?
    Er sehe es.
    Da sehe er mehr als sie.
    Das läge in der Natur der Sache. Darüber solle sie

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