Am Dienstag sah der Rabbi rot
«Das Ehepaar aus Texas?»
«Nein, die sind schon gegen elf abgereist. Um die Zeit müssen wir keine anderen Gäste gehabt haben.»
Sie erläuterte das. «Um diese Jahreszeit treffen die Leute erst im Laufe des Nachmittags oder am frühen Abend ein.» Sie blätterte die Karteikarten durch. « Da – 16 Uhr 20 – 16 Uhr 38 – 17 Uhr 05.»
«Wann ist Miss Dunlop wieder abgereist?», fragte Lanigan.
Die Frau errötete. «Ich meine, ich erinnere mich, dass sie am Abend den Schlüssel abgegeben hat. Sie sagte, sie wollte noch was essen. Ich glaub nicht, dass sie – nein, ich bin sicher, sie ist nicht zurückgekommen. Weißt du noch, Al, ich sagte, sie wäre vielleicht ins Kino gegangen?»
Lanigan fragte Mrs. Jackson, ob sie am nächsten Morgen das Zimmer gerichtet habe und ob das Bett benutzt worden sei.
«Ich erinnere mich nicht», sagte sie vorsichtig. «Wenn es nicht benutzt worden wäre, würde ich mich bestimmt erinnern.»
«Von ein oder zwei Personen?»
«Woher soll ich das wissen?»
«Ach, das würden Sie bestimmt wissen.»
«Ich – ich erinnere mich nicht.»
Als sie wieder abfuhren, sagte Lanigan: «Tut mir Leid, David, aber ich fürchte, Ihr Freund Fine hat kein Alibi. Weder der Mann noch die Frau haben ihn gesehen, im Motel waren keine weiteren Gäste, und da das Telefon nicht in Ordnung war, konnte niemand dort anrufen.»
«Wir haben immer noch das Mädchen …»
«Nein, die nützt uns nichts. Die ist in ihn verliebt und würde ohne weiteres für ihn lügen. Natürlich kann Fines Anwalt sie in den Zeugenstand rufen und hoffen, dass sie auf die Geschworenen einen guten Eindruck macht. Und das kann sie sogar – bis der D. A. sie sich vornimmt. Er macht aus ihr spielend eine ganz gewöhnliche Nutte oder Schlimmeres, da sie ja wusste, dass er verheiratet ist.»
49
Als Lanigan und der Rabbi das Polizeirevier betraten, rief ihnen der Dienst habende Beamte zu: «He, Chef! Grace hat gerade angerufen, dass sie sich ausgesperrt hat. Könnte ich wohl mal eben hinfahren und ihr den Schlüssel bringen?»
«Okay», sagte Lanigan. «Ich bleibe so lange hier.»
Er warf einen Blick auf den Block. «Warum haben Sie den Anruf nicht eingetragen?»
«Wieso, sie ist doch meine Frau? Es war privat.»
«Eine Mitbürgerin ruft an, dass sie aus ihrem Haus ausgesperrt ist, und ich schicke einen Sergeant los, um ihr zu helfen. Das ist normale Polizeiarbeit. Jedes Gespräch muss eingetragen werden. So, und jetzt machen Sie, dass Sie fortkommen.»
Als Lanigan den Anruf eintrug, fragte er: «Wollen Sie Mrs. Fine besuchen, David?» Die Frage überraschte den Rabbi. «Warum sollte ich das wohl wollen?»
Lanigan maß ihn aufmerksam. «Sie haben ihren Mann im Gefängnis besucht, nicht wahr? Wenn das bei uns passierte, würde der Priester selbstverständlich zu ihr gehen.»
«Aber ich bin kein Priester. Ich habe nicht diese Art von Verbindung zu den Mitgliedern meiner Gemeinde. Und im Übrigen hab ich vor einiger Zeit Ärger mit ihr gehabt.»
«So?»
«Ach, nichts Wichtiges», wehrte der Rabbi ab.
Auf der Heimfahrt war er keineswegs davon überzeugt, dass er Mrs. Fine besuchen müsse. Wahrscheinlich war sie nicht einmal zu Hause. Wahrscheinlich wohnte sie bei ihren Eltern; und er hatte nicht das geringste Verlangen, Mr. und Mrs. Chernow auch noch wieder zu sehen.
Aber er kam sowieso am Haus der Fines vorbei, und als er Licht sah, hielt er an.
Edie Fine öffnete auf sein Klingeln. «Ach, Sie sind das, Rabbi», sagte sie offensichtlich überrascht. «Ich – ich wollte gerade zu meinen Eltern gehen …»
«Darf ich hereinkommen?»
«Ja, gut, nur, ich hab nicht viel Zeit. Sie erwarten mich zum Essen.» Sie führte ihn ins Wohnzimmer. «Sie wollen mir vermutlich sagen, dass Sie nichts mit Rogers – ich meine, wegen dieser Sache am Freitagabend. Ich hab sie nicht dazu aufgewiegelt, glauben Sie’s mir.»
«Ach, schon gut, Mrs. Fine. Ich habe Ihren Mann heute Morgen besucht. Er war ruhig und gar nicht deprimiert.»
«Das ist eine gute Nachricht. Ich weiß natürlich, dass das ein schreckliches Missverständnis ist und dass es jedem passieren kann, aber es lässt einen doch über manches nachdenken.»
«Worüber nachdenken, Mrs. Fine?»
«Über alles Mögliche. Ob es noch Gerechtigkeit auf der Welt gibt. Über die Polizei und die Gerichte und – ob es sich lohnt, anständig zu sein –»
«Mrs. Fine!» Er sprach streng. «Ich freue mich, sagen zu können, dass Ihr Mann seine Last tapfer trägt. Ich nehme an,
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