Am Ende bist du mein
Ganze in Augenschein nahm. Seine Haare müssten geschnitten werden, dachte sie. Sie fielen ihm ständig ins Gesicht, und er musste sie jedes Mal zurückstreichen. Aber das weiße Hemd war frisch gewaschen, und die Khaki-Hose zeigte noch restliche Bügelfalten. Und dann hatte er auch noch ein Etui für die Tintenstifte an seiner Brusttasche. Penibel. Aber nicht verweichlicht, denn sein Körper wirkte durchtrainiert.
Tess wandte sich ab, holte Kaffee aus einem Schrank, kippte ein paar Teelöffel voll in den Filter und füllte das Wasserbehältnis aus einer Vier-Liter-Flasche. Es dauerte nicht lang, und die Maschine fing an zu blubbern.
Alex reichte Tess ein Sandwich in Wachspapier. «Putenbrust auf Vollkornweizen. Keine Mayonnaise.»
Tess Magen knurrte so laut, dass sie lachen musste. «Im Moment würde ich sogar Baumrinde essen.»
«Nanu? Ich dachte, du hättest keinen Hunger?»
«Das war gelogen.» Tess biss in ihr Sandwich. Himmlisch. Die Hälfte verschlang sie wortlos. Dann stand sie auf und schenkte ihnen Kaffee ein. Jetzt fühlte sie sich fast schon wieder wie ein Mensch. «Was meinst du, wie lang das alles noch dauert?», fragte sie zwischen den nächsten Bissen.
«In ein paar Stunden haben wir den Rest von ihr freigelegt.»
Tess stutzte. «Von
ihr
? Wie kommst du darauf?»
«Weil es sich um ein weibliches Skelett handelt.»
Tess schluckte den letzten Bissen hinunter und nahm einen Schluck Kaffee. Draußen in der Grube hatte sie Alex nicht ausfragen wollen, um ihn nicht in seiner Arbeit zu stören, aber leicht war ihr die Rücksicht nicht gefallen. «Was weißt du sonst noch?»
«Außer Rasse und Geschlecht nicht viel. Dazu ist es noch zu früh.» Er trank einen Schluck Kaffee. «Schmeckt großartig.»
«Meine einzige Kochkunst, außer Brotscheibentoasten.»
Alex lächelte und machte sich dann über sein Sandwich her. «Der Mann, der die Grube ausgehoben hat, muss ein Stück vom Schädel abgesplittert haben», sagte er mit vollem Mund.
Gut, dass ich etwas im Magen habe, dachte Tess. «Weißt du das genau?»
«Natürlich. Die Kerbe ist ja frisch und weiß.»
An einer Hand versuchte Tess abzuzählen, was sie über Alex Butler gehört hatte oder wusste.
Erstens
. Er war hochintelligent.
Zweitens
. Seine Suche nach der Wahrheit grenzte an Besessenheit.
Drittens
. Beides machte ihn zu einem der besten Gerichtsmediziner des Landes.
Viertens
. Sie war am Ende ihres Lateins. Mehr wusste sie einfach nicht. «Und woher weißt du, dass das Skelett weiblich ist?»
«Wegen der Schädelform.» Alex trank einen Schluck Kaffee. «Die Brauenknochen stehen weniger vor als bei einem Mann. Wir Männer haben immer noch ein bisschen was von einem Neandertaler.»
Tess zupfte ein loses Salatblatt von dem Wachspapier ihres Sandwiches und aß es. «Das hat mein Ex-Freund bewiesen.»
«Ein Ex-Freund? Von so was habe ich ja noch nie gehört.»
«Was heißt das?»
«Dass du immer nur über die Arbeit redest.»
«Sonst passiert bei mir ja auch nichts.» Mit dem Becher in der Hand deutete Tess auf Alex. «Aber über dich ist auch nicht viel bekannt.»
Alex zuckte die Achseln. «Was willst du denn wissen?»
«Was ist mit Ehefrauen, Freundinnen und Kindern?»
«Da muss ich leider passen.»
Aus unerfindlichen Gründen stimmte die Antwort Tess froh. Sie setzte ihren Becher ab. «Was machst du denn in deiner Freizeit? Oder gibt es so was für dich nicht?»
«Ich wandere. Treffe mich mit meinen Brüdern. Schaue mir alte Filme an.»
«Du hast Brüder?»
Alex hob die Brauen. «Meinst du, ich wurde in einem Labor gezeugt?»
Die Frage ließ Tess erröten, denn die Theorie hatte sie auf der letzten Weihnachtsfeier der Polizei verbreitet. Sie hoffte, dass es ihm nicht zu Ohren gekommen war. Ein wenig verlegen fragte sie: «Wohnen sie hier in der Gegend?»
«Sicher, sie sind ja alle drei beim FBI.»
«Und genauso klug wie du?»
«Sagen wir mal, sie sind klug.»
«Aber nicht ganz so klug wie du.»
«Aber beinah.»
«Und in eurer Freizeit lest ihr alle Bücher über Mathematik und Physik?»
«Manchmal.»
Tess lag ein Witz über Nerds auf der Zunge, doch sie beschloss, ihn für sich zu behalten. Langsam begann sie, sich in Alex’ Gesellschaft wohl zu fühlen, und das war einfachzu abartig. Vielleicht wäre es besser, das Thema zu wechseln. «Was gibt’s sonst noch über unser Opfer zu sagen?»
«Sie war eine Weiße.»
«Woran hast du das erkannt?»
«Der Oberkiefer ist flach und das Nasenbein lang und schmal. Bei
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