Am Ende bist du mein
Frau namens Rhonda Minor.»
«Dann ist Hudson dem Mörder ja schon einen kleinen Schritt näher gekommen.»
«Hoffentlich.»
Tess gab auf. Alex Butler war eindeutig nicht in Plauderstimmung. «Also gut. Wo fangen wir an?»
«Ich trage die Erde ab, und du siebst. Genau wie gestern.»
Tess stand auf. «Vorher muss ich noch ein paar Aufnahmen machen.»
«Die Erde hier hast du doch gestern schon fotografiert.»
Tess schoss die ersten Fotos. «Aber nicht zu dieser Tageszeit.» Sie fotografierte länger als nötig, einfach um Alex Butler eine kleine Lektion zu erteilen.
Alex vertiefte sich in die Betrachtung des Baumes neben dem Grab. «Der Baum könnte ein Glücksfall für uns sein.»
«Wegen des Schattens?»
«Wegen der Wurzeln. Wenn sie bis in dieses Grab reichen, wissen wir, seit wann es in etwa existiert.»
Tess beschloss, ihm dafür einen Pluspunkt zu geben. «Kluger Gedanke, Doc.»
Alex warf ihr einen Seitenblick zu. «Gestern war ich noch Alex. Warum ist das jetzt anders geworden?»
Gute Frage, dachte Tess. «Hm», machte sie. «Vielleicht will ich lieber förmlich sein.»
«Warum?»
«Weil Alex dich irgendwie menschlich macht. Aber Menschen sind nicht so intelligent wie du.»
Alex starrte sie an, mit unergründlichem Blick. «Das höre ich immer wieder.»
«Was? Dass du nicht menschlich bist?»
«Ja. Schon seit meiner Kindheit.»
Tess stellte sich ihn als kleinen Jungen vor. Wie er gehänselt wurde, nur weil er klüger war. Von Kindern, wie sie eins gewesen war. Mit einem Mal kam sie sich niederträchtig vor. «Dann bist du wohl nicht gern zur Schule gegangen, oder?»
Alex nahm eine Kelle auf. «Warum denn nicht? Ich hatte sie ja im Handumdrehen beendet. Außerdem gab es Fächer, die ich geliebt habe. Ich war den anderen lediglich voraus.»
«Und das haben sie dir heimgezahlt.»
«Manche ja, andere nicht.»
Er hatte das ohne jede Emotion gesagt, doch es berührte Tess mehr, als wenn er gejammert hätte. «Na ja», sagte sie tröstend. «Aber am Ende ist ja doch einiges aus dir geworden.»
«Das sehe ich auch so.»
Tess lachte. «Bescheiden bist du also auch.» Kopfschüttelnd hob sie ihren Fotoapparat und machte noch ein paar Aufnahmen. «Bin gleich so weit.»
Alex nickte gnädig, ehe er in die Hocke ging und anfing,die Erde abzutragen. Wenig später legte Tess ihren Fotoapparat zur Seite und schnappte sich ihr Sieb. Nach einer Stunde warf Alex ihr einen Blick zu, wie um zu testen, ob sie noch mithalten konnte. Aber so müde Tess auch war und sosehr ihre Muskeln schmerzten, sie siebte eifrig weiter. Tess konnte sich noch gut an die Worte ihres Ausbilders in der Akademie erinnern, der sie mehrfach dafür gelobt hatte, wie sie durch eisernen Willen wettmachte, was ihr an körperlicher Kraft fehlte.
Sie arbeiteten eine Zeitlang still vor sich hin. Um ihr Schweigen zu durchbrechen, fragte Tess schließlich: «Warum machst du das hier eigentlich? Bist du nicht lieber im Labor oder in der Bibliothek?»
«Nein. Ich arbeite lieber draußen.»
«Machst du irgendeinen Sport?»
«Wandern. Laufen. Schwimmen. Und du?»
«Das Gleiche.»
Keine Antwort. Ihr Gespräch war offenbar beendet. Resigniert widmete Tess sich wieder ihrer Arbeit. Eine wortlose Stunde später hatten sie etwa einen halben Meter Erde abgetragen. Die Polizisten, die sie anfangs beobachtet hatten, verzogen sich nach und nach und lehnten sich an ihre Streifenwagen.
Tess nahm einen neuen Anlauf, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass Alex nicht nach Reden war. «Bist du denn wirklich so klug, wie alle sagen?»
«Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, was alle sagen.»
«Na, zum Beispiel, du wärst so klug wie Doogie Howser.»
«Wer ist Doogie Howser?»
«Wie? Ja, hast du denn in den neunziger Jahren nicht ferngesehen?»
«Ich sehe nie fern.»
«Oh, Verzeihung, natürlich nicht. Egal. Doogie Howserwar ein Wunderkind. Hat mit vierzehn seine Ausbildung als Chirurg begonnen.»
«Da kann ich nicht mithalten, fürchte ich. Ich habe mit vierzehn erst die Schule abgeschlossen.»
Todernst. Nicht der Anflug eines Lächelns. «Macht es dich denn nicht krank, ständig von normalen Menschen umgeben zu sein?» Die Frage beschäftigte Tess schon seit dem Tag, als sie Alex begegnet war.
Alex schüttelte den Kopf, schaufelte aber weiter. «Da komme ich jetzt nicht mit.»
«Na, ich zum Beispiel habe einen Neffen, der acht Monate alt ist. Ich liebe ihn und finde ihn niedlich. Aber nach einer Stunde mit ihm sehne ich mich nach einem Gespräch
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