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Am Ende der Ewigkeit

Am Ende der Ewigkeit

Titel: Am Ende der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Carver
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hatte der Quantenriss sie alle in einzelne Partikel aufgelöst, und nun verpufften sie in einer Wolke aus Neutrinos und Gammastrahlen. Waren dies die letzten Gedanken eines Nebels aus masselosen Elementarteilchen, der sich verflüchtigen würde wie Morgentau unter der Sonne?
    Sie hatten die Impris verloren. Deutsch. Legroeder wollte sämtliche Wahrnehmungen auskosten, ehe auch er verschied. Vielleicht war es Stolz. Oder Sehnsucht. Oder Kummer. Oder Sturheit. Er konzentrierte sich mit all seinen Sinnen auf die Töne, die rings um ihn her hochsprudelten. Wenn er sie doch nur zu einem Bild umformen könnte.
    Wie als Antwort darauf mäanderten aus dem Dunkel verzerrte Kraftlinien auf ihn zu, ein turbulentes feuriges Flechtwerk, umgeben von Splittern des Quanten-Risses. Vor ihnen erstreckte sich eine lange, gekrümmte Schneise aus Feuer und Dunkelheit, die tief in das Universum hineinführte … von einer Unendlichkeit in die nächste.
    Während er darauf starrte, dachte er benommen: Das ist entweder die Straße zum Himmel oder der Pfad in die Hölle …
    *

    Er betrachtete das erhabene Bild, das von Klängen untermalt wurde, eine embryonische Musik der Sphären, von einer herzbewegenden Melancholie. Aber es war nicht nur die Musik einer Hand voll von Sternen und Sternenwolken. Es handelte sich um etwas vollkommen anderes, etwas das viel, viel großartiger war …
    … majestätisch im Weltall kreisend …
    … umhüllt vom Timbre eines sich ausdehnenden Universums …
    … unmittelbar nach seiner Entstehung … die Melodie eines neugeborenen Raumzeit-Kontinuums, das um seinen Platz kämpft – im Raum? – in der Zeit? – an einem Ort, in dem es bislang weder Raum noch Zeit noch sonst irgendetwas gegeben hatte.
    Trotz seiner Verblüffung wusste Legroeder, er brauchte sich nur noch ein wenig weiter auszustrecken, dann würde er die Klänge des Augenblicks der Genesis selbst vernehmen. In Intervallen pulsierte ein Ton: ein donnerndes klannngggg wälzte sich durch den Chor der Schöpfung, wie ein gigantischer, kräftiger Bass. Er glaubte zu wissen, was er da hörte: In dem expandierenden Universum entstanden Risse durch Raum und Zeit, Bruchstellen bildeten sich, Splitter spalteten sich ab, Verwerfungen schichteten die Realitätsstrukturen im Quantenfluss um.
    Ihm blieb schleierhaft, woher er dieses Wissen hatte. Doch er merkte, dass die Wahrnehmungen der Narseil seine Empfindungen überlappten, wie wenn man Transparentpapier über ein Display legte. Was sie erblickten, sah er auch, in einem Muster aus schimmernden Schatten.
    Die Implantate in seinem Kopf entwickelten eine fieberhafte Aktivität, so viel mussten sie aufzeichnen.
    *

    Vor ihm dehnte sich nun ein breiter Streifen aus Feuer, von dem aus sich Protuberanzen und fraktale Finger in alle Richtungen krümmten. Es war nicht nur ein Lichtinferno, das durch eine Fraktur quoll, sondern ein Phänomen, in dem ein inneres Chaos herrschte, als hätte sich in der Oberfläche einer Sonne ein langes, schmales Fenster geöffnet. Der Glast schmerzte in den Augen; die Perspektive war entsetzlich verzerrt. Dies war nicht der Einsteinsche Raum, nicht einmal das Chey-Kladdian-Universum – es war etwas gänzlich anderes …
    Und dann offenbarte sich ihm die Wahrheit. Er schaute mitten ins Herz der temporalen Anarchie. Dieser Aspekt der Verwerfung erstreckte sich eher durch die Zeit als durch den Raum, entsprang den Wurzeln der Vergangenheit und reichte vermutlich weit in die Zukunft, Geburt und Tod überspannend …
    Geburt und Tod des Universums !
    Legroeder erschauerte vor Ehrfurcht und Erschrecken, während er in die Spalte hineinspähte, die Ursprung und Ende miteinander verband. Würde er demnächst in Gottes Angesicht blicken? Das würde seinen Tod bedeuten, selbst wenn dieser Quantenriss ihn nicht umbrächte …
    Doch nun regten sich in ihm andere eigentümliche Emotionen, angenehm und beängstigend zugleich. Keine menschlichen Gefühle, obwohl auch Menschen diese Empfindungen erlebten – Freude, Entschlossenheit, Wut und eine fromme Scheu. Es waren die Gefühle der Narseil, die dasselbe sahen wie er – die schaurige Schönheit und die Bedrohung des Quanten-Risses, die Geburtswehen und die Agonie des Todes, verschmolzen zu einem einzigen Augenblick.
    Doch die Vision veränderte sich, an den Rändern sprühten Funken, Lichtsplitter lösten sich ab und strebten der Unendlichkeit zu – und seine Gedanken gerieten in totale Verwirrung …
    *

    Erinnerungen an Orte, die er

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