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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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»danke, daß du so
nett zu ihm bist.«
    Ihr Blick kehrte sich nach innen. »Ich
weiß noch gut, wie es ist, wenn man plötzlich niemanden mehr hat. Im Moment
fühlt sich Zach so unsicher und ungeliebt, wie man sich nur fühlen kann.«
    Raes Eltern waren bei einem
alkoholbedingten Verkehrsunfall umgekommen, als sie noch klein gewesen war, und
die Großmutter, die sie aufgezogen hatte, hatte sich alle Mühe gegeben, sie
spüren zu lassen, was für eine Last sie war. Ich hatte den Verdacht, daß sie
sich, trotz einer Frühehe und vieler kurzer, oberflächlicher Beziehungen, nie
sicher oder geliebt gefühlt hatte, ehe Ricky in ihr Leben getreten war.
    Sie sah auf ihre Uhr, stand auf und
streckte sich. »Dann will ich wohl mal an die Arbeit gehen. Kommt ihr beide morgen
zu Ted und Neal?«
    »Ich weiß nicht, aber ich werde Ted
sagen, wir tun unser Bestes.« Sie zögerte, als ob sie noch etwas sagen wollte,
nickte dann und verließ mein Büro.
    Es gab Zeiten, da ich mir wünschte, ich
wäre mehr wie Rae — weniger getrieben, mehr auf den privaten Teil meines Lebens
ausgerichtet. Aber wo hörte das Berufliche auf und fing das Private an? Die
Grenze zwischen beidem hatte sich durch Mattys Tod verwischt.
    »Vielleicht kann ich dir ja helfen«,
erklärte ich Mick.
    Der kriegerische Ausdruck, der auf dem
Gesicht meines Neffen erschien, erinnerte mich an jenen Tag, als er fünf
gewesen war und ich ihn, Chris und Jamie gehütet hatte. Mit genau derselben
Miene hatte er sich geweigert, seine Spielsachen einzusammeln, und ich hatte
ganz ruhig gesagt: »Wenn die Sachen nicht in zwei Minuten in der Spielzeugkiste
sind, bringe ich dich um.« Nie vorher oder nachher habe ich ihn so flitzen
sehen. Und trotz Charlenes Befürchtungen, daß meine Erziehungsmethoden ihren
Ältesten fürs Leben geschädigt hätten, zeigte er keinerlei Anzeichen devianten
Verhaltens. Er war allenfalls ordentlicher als der Durchschnittsmann.
    »Warum grinst du?« knurrte er.
    »Nur so. Hör mal, warum reden wir nicht
über die Probleme, die du mit diesen Recherchen hast? Woran genau hängt es
denn?«
    »Ich will dir zeigen, woran es hängt —
daran!« Er zeigte auf zwei farbkodierte Computerkarten der Vereinigten Staaten,
die mit Klebeband an der Wand über seinem Schreibtisch befestigt waren. »Dieses
verdammte Land ist einfach zu groß!«
    »Erklär’s mir bitte.« Ich setzte mich
auf eine Umzugskiste, die meine alten Akten enthielt. Obwohl wir schon seit dem
Sommer hier residierten, war Ted noch nicht dazu gekommen, Aktenschränke dafür
zu ordern.
    »Okay, du hast mir gesagt, im Rahmen
des Zeugenschutzprogramms wird versucht, die Leute umzusiedeln, und zwar in
gebührende Entfernung von der... wie hieß das noch mal?«
    »Gefahrenzone.«
    »Genau. Also, hier auf dieser Karte ist
Florida rot. Ursprünglich hatte ich die anderen Staaten von den warmen zu den
kalten Farben hin abgestuft, je nachdem, wie weit sie von Florida weg sind.
Dann habe ich mich bei Dialog eingeloggt
—«
    »Wo?«
    »Shar, das ist ein großer kommerzieller
Provider, den ich benutze — ach, Herrgott, warum versuche ich das überhaupt zu
erklären? Du glaubst vermutlich, der Datenhighway ist irgendwo in Ohio!«
    »Okay, ich weiß wieder, was Dialog ist. Mach weiter.«
    »Erst mal einen Schritt zurück. Ich bin
von der Annahme ausgegangen, daß die Sache, in die Ron Fuller verwickelt war,
aufsehenerregend gewesen sein muß, wenn jemand seine Frau umbringen läßt. Das
hieß, die Zeitungsarchive waren zuerst angesagt. Es gibt in den USA
einhundertzweiunddreißig Zeitungen mit Volltext-Online-Archiv, und davon kriege
ich über Dialog sechsundfünfzig.
Ich habe mit der Detroit Free Press angefangen, weil ich dachte, Fuller
hätte vielleicht irgendwelche Drähte nach Michigan, weil da die Seabrookschen
Geburtsurkunden herkommen. Zunächst habe ich die zwei Jahre vor und nach dem
Mord an Marie Fuller durchgecheckt, mit Suchbegriffen wie Drogen- und
Waffenhandel und organisiertes Verbrechen.«
    »Klingt vernünftig.«
    »Nur, daß das Ergebnis gleich Null war.
Dann habe ich mir Illinois vorgenommen. Dasselbe Resultat. Ich wollte mir
gerade Indiana vorknöpfen, als es mir endlich aufging: Das sind alles Staaten
mit kaltem Klima.«
    »Und?«
    »Wo verbringen Leute, die in solchen
Gegenden leben, ihren Winterurlaub?«
    »In der Karibik? Oh, klar — in Florida.
Die Justizbehörden würden niemals jemanden aus einem dieser Staaten dorthin
umsiedeln. Weil das Risiko viel zu groß wäre, daß

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