Am Ende der Nacht
sich geredet? Über seinen Sohn,
seine Freundin, seine Vergangenheit vielleicht?«
»Ich wußte, daß es den Sohn und die
Freundin gab, mehr nicht. Er war ganz auf die Stunden konzentriert, als könnte
er sich’s nicht leisten, Zeit auf Konversation zu verschwenden.«
»Als er dann den Flugschein hatte —
haben Sie da noch mal von ihm gehört?«
»Einmal. Er kam her und fragte mich, ob
ich ihn auf einer Spornradmaschine einweisen könnte.«
»Wann war das?«
»Vor genau zwei Wochen. Muß an dem Tag gewesen
sein, bevor er verschwunden ist. Wir nahmen eine Super Cub — seine Wahl. Er ist
damit umgegangen, als hätte er sie sein Leben lang geflogen.«
Die Einladung auf meinem Schreibtisch
sah vornehm und festlich aus, mit bunten Herbstblattarrangements, die die
Goldschrift umrahmten. Ted und Neal gaben morgen mittag ein Thanksgiving-Essen,
und obwohl sie es uns schon vor Wochen gesagt hatten, wurden Hy und ich formell
aufs herzlichste eingeladen. Ich hatte den Festtag völlig vergessen.
»Gepflegte Häuslichkeit!« schnaubte ich
und warf die Einladung beiseite.
»Was ist daran auszusetzen?« fragte
Rae. Sie lümmelte in einem meiner Klientensessel, die Füße auf dem anderen.
»Nichts, außer daß heutzutage jeder
damit beschäftigt zu sein scheint. Schau dich an: selbstgemachte Lasagne,
einschließlich der Nudeln. Als nächstes wirst du eine Rezeptesammlung anlegen
und putzige kleine Kärtchen ausgeben, auf denen steht: ›Küchengeheimnis
von...‹«
»Du bist nur sauer, weil du wegmußtest,
bevor die Lasagne fertig war.«
»Nein, ich bin sauer, weil es im Leben
Wichtigeres gibt als Tischtücher, die zum Geschirr und zum Silber passen — und
weil das niemandem mehr klar zu sein scheint.«
Rae runzelte die Stirn, weil sie
merkte, daß diese Kritik gegen sie ging. Weder sie noch Ricky hatten viel
Hausrat in ihr neues Heim eingebracht, und seit Monaten kauften sie begeistert
ein. Ich war ihnen mal am Union Square begegnet und hatte sie zu Gump’s
begleitet, wo ich fasziniert zugeschaut hatte, wie sie völlig ernsthaft über
Besteck, Geschirr und Kristallgläser debattierten. Als es mir langweilig
geworden war und ich mich abgesetzt hatte, waren sie immer noch unentschlossen
gewesen, und das Verkaufspersonal war um sie herumgewieselt wie eine
Ameisenarmee, die der prominenten Kundschaft immer neue Warenbrosamen
anschleppte. Dieser Persönlichkeitswandel bei Ricky — der während der Ehe mit
meiner Schwester kaum je am häuslichen Leben teilgenommen hatte, selbst wenn er
physisch anwesend war — verblüffte und ärgerte mich abwechselnd.
Schließlich sagte Rae: »Gerade du
solltest doch wissen, daß Dinge wie Tischwäsche, Geschirr und Silber unsere
Mittel sind, uns die große böse Welt vom Leib zu halten.«
Das war eine Retourkutsche. Als Hy und
ich das Häuschen in Besitz genommen hatten, war ich in einen Kaufrausch
verfallen, der mich beinahe ruiniert hatte — eine peinliche Episode meines
Lebens, an die ich nicht gern erinnert werden wollte.
»Und was haben Tischtücher, Geschirr
und Silber Matty Wildress genützt?« fauchte ich.
Rae lief rot an und preßte die Lippen
aufeinander, nicht reumütig, wie sie es früher gewesen wäre — wütend. Sie sah
mich einen Moment streng an.
»Shar, ich weiß, du hast eine Freundin
verloren, und das geht dir sehr nahe, aber das berechtigt dich nicht, es an uns
übrigen auszulassen. Verdirb Ted und Neal nicht die Freude, indem du ihre
Einladung ausschlägst. Es ist ihr erstes gemeinsames Thanksgiving, und es
bedeutet ihnen eine Menge, ihre Freunde um ihren Tisch versammelt zu sehen.
Genau wie es Ricky und mir eine Menge bedeutet, euch an unserem ersten
gemeinsamen Heiligabend bei uns zu haben.«
Autsch. Sie hatte mit einem Schnitt den
innersten Kern meines Verhaltens bloßgelegt und die faule Stelle
herausgeschält.
»Ich hasse es, wenn du recht hast«,
sagte ich.
»Gönn’s mir — es kommt so selten vor.«
Sie grinste, daß sich ihre Nase krauste.
»Wie war euer Ausflug ins
Monterey-Bay-Aquarium?«
»Du meinst, wie es für Zach war? So
là-là. Die Seeotter haben ihn zum Lachen gebracht, aber die heitern jeden auf.
Danke, daß du die Sachen für ihn vorbeigebracht hast. Ein Hauch von Zuhause war
genau das, was er gebraucht hat.«
Ich sah den Zustand dieses Zuhauses vor
mir. Selbst wenn ich John Seabrook fand und wieder mit seinem Sohn
zusammenführte — würden sie dort je wieder ein glückliches Leben führen können?
»Tja«, sagte ich,
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