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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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trockene Blätter über die Straße und ließ den kleinen Wagen
erbeben.
    Touristenchalets und Motels zeigten an,
daß ich mich Eureka Springs näherte. Am Abzweig zum historischen Distrikt des
Städtchens landete ich hinter einer langsamen Straßenbahn, die mich an die
Cable Cars von San Francisco erinnerte. Thanksgiving-Wochenende — die Bahn war
gerammelt voll mit Touristen. Ihre sorglosen Gesichter erinnerten mich an
meinen gestrigen Anruf bei Ted und Neal, vom Flughafen Fort Worth aus:
Feiergeräusche im Hintergrund, darunter ein texanisch angehauchtes Juchzen, das
nur von Keim stammen konnte, und am Telefon Ted, der sagte, er finde es schade,
daß Hy und ich nicht hätten kommen können, verstehe es aber.
    Hy sei nicht da? fragte ich.
    Nein, er habe angerufen und sich
bedauernd entschuldigt.
    Ted übergab an Neal, und nachdem wir
ein Weilchen geredet hatten, rief Neal Rae an den Apparat, die mich wiederum an
Ricky weiterreichte, der mir schließlich Zach gab. Nachdem ich mit fast allen
Anwesenden gesprochen hatte, versuchte ich, Hy zu erreichen, aber er meldete
sich weder unter einer seiner Nummern noch unter meiner eigenen.
    Er war irgendwo anders — und tat was?
Vor sich hinbrüten vermutlich, weil er sich unfähig und ohnmächtig fühlte. Er
hatte Matty nicht schützen können, und jetzt sah er seine Chancen, ihren Tod zu
rächen, schwinden. Als ich ihm gestern morgen gesagt hatte, dieser Trip nach
Arkansas sei etwas, was ich allein machen müsse, war seine Frustration
unübersehbar gewesen. Er verstand meine Begründung: Wir waren beide emotional
viel zu stark in diese Sache verwickelt, und unter solchen Bedingungen neigten
wir dazu, uns gegenseitig hochzuschaukeln, oft bis auf ein gefährliches Maß.
Trotzdem paßte es ihm nicht, ausgeschlossen zu werden, und ich konnte es ihm
nicht verdenken.
    Als mein Flug nach Fayetteville
aufgerufen wurde, war ich selbst bereits ziemlich am Grübeln. Im Lauf unserer
Beziehung waren Hy und ich mit Hindernissen konfrontiert gewesen, die die
meisten Paare auseinandergebracht hätten, aber wir waren sie geradewegs
angegangen — gemeinsam. Ich belog ihn nicht; er belog mich nicht. Wenn wir uns
über irgendein Vorgehen uneinig waren, trugen wir unsere Differenzen — oft
hitzig — aus und fanden schließlich einen Kompromiß. Doch seit Mattys Tod
hatten wir begonnen, einander mit Halbwahrheiten abzuspeisen und unseren
Belangen getrennt nachzugehen. Ich wußte nicht mal genau, was er am Mittwoch im
RKI-Hauptquartier gemacht hatte. Vielleicht ermittelte er ja sogar parallel zu
mir.
    Mit solchen Gedanken im Kopf — war es
da ein Wunder, daß ich eine ganze Flasche teuren Chardonnay zu meinem einsamen
Zimmerservice-Festmahl getrunken hatte?
    Als die Straßenbahn abgebogen war, gab
ich Gas und ließ die Fast-Food-Schuppen und allgegenwärtigen Souvenir- und
Antiquitätenshops an mir vorüberziehen. In Berryville — das größer war, als ich
gedacht hatte — wurde die Straße vierspurig, und ich hielt Ausschau nach meinem
Abzweig. Iona Fowler hatte gesagt, er sei leicht zu übersehen, aber ich fand
ihn ohne Probleme. Doch dann fuhr ich an meinem nächsten Abzweig vorbei, mußte
umkehren, verpaßte den ungeteerten Feldweg und landete in Missouri.
    Soviel zu meinen Navigationskünsten.
    Als ich wieder zurückgefahren war, fand
ich endlich den mit einem Sackgassenschild markierten Weg. Er führte mich an
mehreren Farmhäusern vorbei, durch etliche achsbruchträchtige Schlaglöcher, in
ein Tal und über einen Bach. Droben am Hang erstreckten sich Weiden, wo sich
braunweißes Vieh gegen den kalten Wind zusammendrängte. Ein ansteigender
Fahrweg teilte das Weideland und verschwand hinter einer Baumgruppe oben auf
der Kuppe. Ich folgte ihm und kam zu einem hölzernen braunen Farmhaus mit einer
roten Scheune dahinter.
    Das Haus war klein und hübsch, auf zwei
Seiten von einer Veranda umgeben, von der man das ganze Tal überblickte. Ein
Collie lag am Fuß der Eingangstreppe, und als ich neben einem Jeep Cherokee
hielt, stand der Hund auf, um mich zu begrüßen. Seine kalte Schnauze stupste
gegen meine Hand, als ich ausstieg. Gemeinsam betraten wir die Veranda, und ich
klopfte an die Tür und drehte mich dann um, um die Aussicht zu genießen:
sanftes Weideland fiel zu einer kahlen Baumreihe hin ab, durch die ich das
silbergraue Glänzen eines Flusses sehen konnte.
    Die große, gutaussehende Frau, die mir
öffnete, trug einen dicken blonden Zopf zu einer Krone um den Kopf

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