Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Pferdeschwanz oder einer Art Knoten zusammengebunden. Jetzt sind sie zu einem kinnlangen Bob geschnitten. Sie sieht auf einmal richtig jung aus.
«Gefällt es dir?»
«Hm», knurrt Martha. «Geht so.»
«Der Friseur an der Ecke ist gar nicht schlecht, vor allem nicht so teuer. Vielleicht magst du ja auch mal hingehen.» Constanze wuschelt Martha durch die Locken. «Deine Spitzen müssten dringend mal geschnitten werden.»
Martha zieht den Kopf weg. «Was ist das für ein Geschenk?»
Ihre Mutter legt ihr ein rechteckiges Päckchen auf den Tisch.
Es sieht aus wie ein Buch. Hoffentlich nicht irgendein Ratgeber wie
Trauern leichtgemacht
oder so. Martha hält das Päckchen unschlüssig in der Hand.
«Nun schau schon nach.»
Es ist kein Buch. Es ist ein schmaler Metallkasten mit Aquarellfarben darin.
«Die sind doch wahnsinnig teuer!», sagt Martha.
Constanze lacht. «Deshalb sind es auch erst einmal nur sechs. Freust du dich?»
«Und wie!» Ohne nachzudenken, fällt Martha ihrer Mutter um den Hals. Sie freut sich wirklich. Sie wollte immer schon Aquarellzeichnungen machen, mit den Farben aus dem Tuschkasten geht das nicht, die verlaufen nicht so schön.
«Damit kann ich gleich meine Entwürfe für das Bühnenbild machen. Das sieht dann richtig professionell aus!»
Constanze streicht ihr übers Haar. «Erinnerst du dich an die Reiseführer, die dein Vater vor ein paar Jahren mal geschrieben hat:
Ohne einen Dollar in New York
oder
Ohne ein Pfund in London
?»
Martha nickt. «Du hast damals gesagt, rauszufinden, wie man ohne Geld Urlaub machen kann, hätte ihn wahnsinnig viel Geld gekostet.»
«Das stimmt auch, aber anscheinend verkaufen die Bücher sich immer noch. Jedenfalls kam gestern eine Abrechnung über hundertzwanzig Euro. Damit hatte ich gar nicht gerechnet.»
«Schön für dich», sagt Martha.
«Und für dich. Wir sind schließlich beide seine Erben. Ist ja nicht gerade viel, aber besser als nichts. Hier –» Sie hält Martha sechzig Euro hin.
«Danke, kann ich gut gebrauchen. Ich brauche nämlich ein Kleid.»
«Was denn für ein Kleid?»
«Ich spiele die Stella in
Endstation Sehnsucht
», sagt Martha.
«Du?», fragt Constanze überrascht.
«Traust du mir das etwa nicht zu?», fragt Martha gekränkt.
«Doch, doch, natürlich, aber du hast bisher nie – ich meine, wenn ich daran denke, wie du geschrien hast, als du an der Grundschule im Weihnachtsmärchen mitspielen solltest.»
Daran möchte Martha jetzt nicht denken. «Mein Lehrer meint, ich bin genau die Richtige», sagt sie nicht ohne Stolz.
Constanze geht zur Tür. «Der wird es bestimmt wissen. Ich freue mich für dich. Das wird sicher ganz toll.»
«Willst du dir meine Entwürfe ansehen?», fragt Martha eifrig und breitet die Papierbögen auf dem Bett aus.
«Connie!», schreit Poppy von draußen. «Ich muss mal. Ich muss mal groß!»
Constanze zuckt bedauernd mit den Schultern. «Ich schau mir das gern später an.»
«Ich schau mir das gern später an!», äfft Martha ihre Mutter leise nach, als die das Zimmer verlassen hat.
5.
S imon hockt auf dem Boden, im Mund ein paar Nägel. Einen davon nimmt er heraus und schlägt ihn mit übertriebener Kraftanstrengung in die unterste Stufe.
Er winkt Martha heran. «Geh mal rauf, damit wir sehen, ob sie dein Gewicht aushält.»
Martha schluckt eine Bemerkung herunter. Vorsichtig betritt sie die Treppe, steigt die zehn Stufen hoch und öffnet die Tür, die ihr halb entgegenkippt. «Hier muss noch ein zweites Scharnier ran!», ruft sie nach unten.
«Musst sie eben vorsichtig aufmachen, mit Gefühl, falls du weißt, was das ist.»
«Nun mach schon, Simon», sagt Jill. «Dem Ingeniör ist nichts zu schwör.»
«Und wir brauchen eine Leiter!», sagt Martha.
«Wozu das denn?», will Simon wissen.
«Na, meinst du, ich bleibe die ganze Zeit auf dem schmalen Brett hinter der Tür stehen?», sagt Nora. «Ich will auf der anderen Seite wieder runter, aber so, dass man es nicht sieht.»
«Ich frage den Hausmeister.» Martha geht langsam die Treppe runter, wobei die ins Schwanken gerät. «Der leiht uns bestimmt eine.»
Unten bleibt sie stehen. Sehr tragfest ist die Treppe wirklich nicht. Aber sie sieht gut aus. Die Stufen aus Hartfaserplatten hat Martha in einem dunklen Braun gestrichen und mit einem abgewetzten Läufer bedeckt, den sie auf dem Flohmarkt erstanden haben. Genau wie die Stehlampe mit den Leuchten in Tütenform. Eigentlich eher ein Modell aus den 1950 er Jahren, aber so genau
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