Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Whisky, sondern Apfelsaft ist. Aber auch Nora in ihrem engen meergrünen Kleid mit dem lila Blumenmuster sieht aus wie eine amerikanische Hausfrau aus den späten Vierzigern. Simon als Stanley trägt ein kunstvoll verdrecktes T-Shirt und Jeans, Florian ein ausgebeultes Jackett und darunter einen Blaumann. Alle sehen gut aus, nur Martha nicht. Davon mal abgesehen kommt sie immer noch nicht mit ihrem Text klar. Miller hat die Originalfassung zwar kräftig gekürzt, aber er besteht darauf, das Stück auf Englisch zu spielen. Und egal, wie oft Martha das «th» geübt hat, sie kriegt es einfach nicht hin.
Mit gesenktem Kopf, wie ein Lamm vor der Schlachtbank, steht sie da, als Miller zu ihr auf die Bühne kommt und ihr besänftigend seine Hand auf den nackten Arm legt.
Diese leichte Berührung reicht, um Martha in Tränen ausbrechen zu lassen.
Millers Hand zuckt zurück. «So schlimm?»
Sie weiß nicht genau, was er meint. Ihr Kleid? Seine Hand auf ihrem Arm? Sie nickt und schüttelt gleich darauf den Kopf.
«Zieh das wieder aus, du kannst die Stella nicht in diesem Fummel spielen.»
Martha stürzt hinter die Bühne und zerrt sich das Kleid vom Körper. «Billig», gellt es in ihren Ohren.
Billig!
Mehr schlecht als recht bringt Martha die Probe hinter sich. Und obwohl Miller immer wieder das Bühnenbild lobt, ist das doch kein Trost für sie.
«Ich weiß, was wir machen», sagt Jill, als sie zusammen die Schule verlassen. «Wir suchen ein Kleid für dich im Internet.»
«Wie denn?», fragt Martha und schaut Jill nicht an. Ihr Tränenausbruch ist ihr immer noch peinlich.
«Bei eBay zum Beispiel. Da findet man die tollsten Sachen. Meine Mutter hat da mal ’nen echten Nerzmantel für ’n Appel und ’n Ei ersteigert. Den wollte keiner haben, weil er so altmodisch geschnitten war. Sie hat ihn umarbeiten lassen, und das hat natürlich viel weniger gekostet als ein neuer und …»
Jill redet und redet und Martha weiß, dass sie ihr nur helfen will, aber sie ist trotzdem sauer auf ihre Freundin. Warum funktioniert bei Jill immer alles und bei ihr nie?
«Wir schauen gleich mal. Ich hab Zeit.»
Jill wohnt schräg gegenüber der Schule in einem gepflegten Altbau. Martha bleibt vor der Haustür stehen, doch Jill zieht sie am Arm weiter. «Lass uns ins Engelmann gehen, ich hab Lust auf eine Latte und unsere Kaffeemaschine ist kaputt.»
Martha ist das nur recht, nachher ist Jills Mutter zu Hause, sie mag jetzt niemanden sehen.
Nachdem sie bestellt haben, zieht Jill ihr Smartphone aus der Tasche und wischt eifrig mit dem Finger über das Display.
«Warte, gleich hab ich’s.»
«Das Kleid?», fragt Martha, und es soll spöttisch klingen, kommt aber nur kleinlaut heraus.
Jill runzelt die Stirn, seufzt, murmelt etwas wie: «Das passt nicht … viel zu bunt … Hilfe, was ist das für ein tüllgewordener Albtraum …» Bis sie schließlich so laut aufschreit, dass die Kellnerin, die gerade die Gläser mit Latte macchiato bringt, diese beinah fallen lässt.
«Sorry», sagt Jill. «Aber ich hab gerade die Nadel im Heuhaufen entdeckt.»
«Solange du mir nich damit piekst, soll’s mir egal sein», sagt die Kellnerin und knallt die Gläser auf den Tisch.
«Hier!», sagt Jill und tippt auf das Display. «Das ist es! Warte, ich mach’s dir größer.»
Jill hat recht. Das ist genau das Kleid, das Martha sich vorgestellt hat.
«Größe 40 , das passt auf jeden Fall», sagt Jill. «Der Preis steht bei elf Euro, aber das kann sich bis heute Abend natürlich noch erhöhen.»
«Heute Abend?»
«Angebotsende ist dreiundzwanzig Uhr fünfzehn, vorher darfst du nicht einschlafen, meine Liebe», sagt Jill. «Ich maile dir mal eben den Link.»
Martha würde Jill am liebsten bitten, das Kleid für sie zu ersteigern, sie hat keine Ahnung, wie das geht. Als hätte sie ihre Gedanken erraten, sagt Jill: «Ich bin heute Abend nicht da. Treffe mich mit Simon, wir wollen unsere Rollen noch mal proben.» Sie zwinkert Martha zu. «Das kann lange dauern.»
Martha unterdrückt eine boshafte Bemerkung, sie will Jill nicht verärgern. «Wie funktioniert das denn? Ich meine, ich hab das noch nie gemacht.»
«Sich mit einem Jungen treffen?», fragt Jill und zieht die Augenbraue hoch.
«Quatsch, ich meine das mit dem Ersteigern.»
«Du musst dich anmelden, dann brauchst du natürlich ein Bankkonto und –» Die Melodie von
Je t’aime
erklingt. Das ist Jills Smartphone. Sie wendet sich von Martha ab, bevor sie sich meldet. Martha
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