Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Heute gab es gegrilltes Huhn zum Abendessen und dazu diese kleinen Kartoffeln vom Blech, die Martha so liebt. Natürlich hat sie wieder viel zu viel davon gegessen. Aber ab morgen hungert sie. Wie viel Kilo kann man in drei Tagen verlieren, wenn man gar nichts isst? Eins doch auf jeden Fall. Sie denkt an Jill, die sich hemmungslos mit allem vollstopft, was fettig oder süß ist, und nie auch nur ein Gramm zunimmt.
«Es gibt eben gute und schlechte Futterverwerter», hatte die Glatze gesagt, als Martha von ihm wissen wollte, welche Schlankheitsmittel wirklich etwas taugen würden. «Alle Medikamente haben sich bisher als wirkungslos oder gesundheitsschädlich erwiesen. Das Einzige, was dauerhaft hilft, ist gesunde Ernährung und Sport.» Bei diesen Worten hatte er sie angeschaut, und Martha konnte genau sehen, was er dachte:
Friss weniger und beweg dich mehr
.
Jetzt hört sie, wie auf der Straße ein Wagen hält, und stürzt ans Fenster. Ein Taxi! Vielleicht ist das ja Frau Dernburg. Sie kann den Fahrgast nicht erkennen. Es dauert jedenfalls ewig, bis er bezahlt hat und endlich aussteigt. Enttäuscht wendet sich Martha ab. Es ist ein Mann.
Samstags gehen die Glatze und Constanze zusammen auf den Markt, Martha darf dann Poppy bespaßen.
«Ist das in Ordnung für dich, Martha?», fragt Johannes. Nach dem Unfall mit der Schere fragt er wenigstens immer. «Oder hast du was vor? Dann nehmen wir Poppy mit.»
«Will nich einkaufen», mault die.
«Ich muss noch meinen Text lernen», sagt Martha. «Ihr könnt sie ruhig hierlassen.»
«Aber bitte park sie nicht wieder vor dem Fernseher», sagt Constanze noch, bevor sie die Wohnung verlässt.
Ach nein? Was soll sie denn dann mit dem Biest anfangen? Es in die Besenkammer sperren?
Martha zappt sich durch die Fernsehprogramme, bis sie etwas findet, das babyhaft genug ist, um Poppy zu gefallen.
«Und schön sitzen bleiben, hörst du?», befiehlt sie.
Dann geht sie in ihr Zimmer und schaut sich noch einmal ihren Text in der ersten Szene an.
«You can’t describe someone you’re in love with!», liest sie laut und muss lächeln. Sie kann das, sie kann Miller beschreiben. Sein jungenhaftes Aussehen, die ungestümen Bewegungen, die Art, wie er sich die widerspenstigen Locken aus dem Gesicht pustet.
«When he’s away for a week I nearly go wild! And when he comes back I cry on his lap like a baby …»
O ja, sie kann diese Stella spielen, und wie! Sie muss sich nur vorstellen, dass statt Simon Miller vor ihr steht.
Martha hat das Gefühl, dass sie beobachtet wird. Sie dreht sich um und sieht Poppy, die in der Tür steht. Nachdenklich saugt sie an ihrem Daumen.
«Warum sprichst du so komisch?»
«Das ist nicht komisch. Das ist Englisch. Müsstest du ja eigentlich kennen.»
«Kenn ich aber nich.»
«Hat deine Mutter nicht Englisch mit dir gesprochen?»
Poppy schüttelt heftig den Kopf. «Nich so wie du.»
Na toll, jetzt muss sie sich von diesem Naseweis auch noch sagen lassen, dass ihr Englisch grottig ist.
«Lass mich in Ruhe. Ich muss üben. Ist der Film schon zu Ende?»
«Da is Werbung», sagt Poppy. «Werbung is blöd.»
«Die ist gleich vorbei. Setz dich wieder hin.»
Doch Poppy scheint den drohenden Unterton zu überhören, sie lässt sich auf Marthas Bett fallen. «Erzähl mir was. Erzähl mir ein Märchen.»
«Ich hab keine Zeit, geh fernsehen!»
Poppy öffnet den Mund und fängt an zu schreien. Sie schreit, trommelt mit den Fäusten gegen die Wand und tritt mit den Füßen in die Luft. Martha kennt das. Gegen diese Anfälle hilft nur eins: nachgeben.
«Gut, dann erzähl ich dir was, es ist aber keine hübsche Geschichte», sagt Martha.
Sofort stellt Poppy das Geschrei ab und schließt erwartungsvoll die Augen.
«Es waren einmal zwei Prinzessinnen, zwei Schwestern …», beginnt Martha.
«Wie wir», murmelt Poppy.
«Erstens sind wir keine Schwestern, und zweitens waren die viel älter. Die waren nämlich schon erwachsen.»
«Wie Connie.»
«Du sollst nicht Connie zu meiner Mama sagen, hörst du. Sie heißt Constanze.»
«Weiter», sagt Poppy nur.
«Die beiden Prinzessinnen wohnten in einem großen Schloss und hatten viele Diener. Die eine Prinzessin war jung und schön, die andere –»
«Alt und hässlich», sagt Poppy.
«Genau. Und eines Tages verließ die hübsche junge Prinzessin das schöne Schloss und ging in eine ferne Stadt. Da traf sie einen Mann.»
«War das ein Prinz?»
«Eben nicht. Der Mann war kein Prinz, er war auch
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