Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
muss man es ja nicht nehmen.
Nora hat einen ausrangierten amerikanischen Kühlschrank mit gewölbter Tür beigesteuert und Florian einen Küchentisch. Die Stühle haben sie im Keller der Schule gefunden. Die Vergangenheit im Klassenzimmer sieht man ihnen zwar an, aber Martha hat sie mit rosa Kissen ausgestattet, passend zu den rosa Gardinen vor den Fenstern. Auch der Hocker vor der Frisierkommode ist mit rosa Stoff verkleidet.
«Wo soll der hin?», fragt Jill. Sie schleppt einen halbblinden Spiegel in verschnörkeltem Rahmen auf die Bühne.
«Stell ihn auf die Frisierkommode, aber so, dass er nicht gleich umkippt.»
Martha geht von der Bühne und stellt sich in die Mitte des Zuschauerraums.
«Ein bisschen mehr nach links!», dirigiert sie. «Noch ein Stückchen und noch eins … Ja, so ist es gut.»
Man sieht zwei nach vorn geöffnete Zimmer, deutlich als Schlafzimmer und Küche zu erkennen, links daneben führt die Treppe in den ersten Stock. Auf die Außenwände hat sie Ziegel gemalt, die leicht grün angelaufen sind vor Moos und Feuchtigkeit, schließlich ist es schwülheiß in New Orleans. Martha hätte auch gern noch einen von diesen großen altmodischen Ventilatoren aufgehängt, aber erstens hat sie keinen gefunden, und zweitens wäre der sicher auch zu schwer für die leichten Spanplatten, die die Zimmerdecke bilden. Auch so sieht es einfach großartig aus. Große Zufriedenheit erfüllt sie. Das ist ganz allein ihr Werk!
Frau Ziegert, die Kunstlehrerin, hatte Martha erlaubt, im Unterricht ausschließlich an dem Bühnenbild zu arbeiten, und das hatte Martha mit Hingabe getan. Sogar nachmittags war sie in der Schule geblieben, hatte Tapeten geklebt, Stoffe zugeschnitten, zusammengenäht, Wände grundiert und bemalt, Requisiten ausgesucht und arrangiert.
Heute werden sie zum ersten Mal ihre Kostüme tragen und auf der fertigen Bühne proben können. Sie zückt ihr Handy und macht ein paar Aufnahmen.
«Wahnsinn!», sagt Miller. Martha dreht sich um. Sie hat ihn gar nicht kommen hören.
«Das habt ihr ja phantastisch hingekriegt.»
«Wir haben nur gemacht, was Martha uns gesagt hat!», ruft Jill von der Bühne.
«Bisschen viel Rosa für meinen Geschmack», sagt Simon.
«Ich hab mir gedacht, dass Stella versucht, es sich in dieser miesen Bude ein bisschen nett zu machen», sagt Martha. «Und die amerikanischen Frauen lieben doch Rosa, oder nicht?»
Miller nickt. «Das ist genau richtig so, ich bin schwer beeindruckt.»
«Fangen wir gleich an?», fragt Nora. «Dann ziehe ich mich schon mal um.»
Miller schaut auf seine Uhr. «Eigentlich ist ja noch Pause, aber wenn ihr wollt, legen wir gleich los. Wo steckt Tobias?»
Ein Neuntklässler aus der Technik- AG hat sich bereiterklärt, Ton und Licht zu steuern.
«Hier!», ertönt es dumpf hinter dem Vorhang.
«Na dann!» Miller geht durch den Mittelgang nach vorn und setzt sich in die erste Reihe.
Beschwingt läuft Martha nach hinten in die Garderobe. Der einzige Wermutstropfen ist ihr Kleid.
Sie weiß nicht, in wie vielen Secondhandläden sie schon war, von den Flohmärkten einmal abgesehen. Irgendwann hat sie dann aus lauter Verzweiflung dieses Kleid mit dem weit ausgestellten Rock gekauft, das vielleicht einen Tick zu kurz und dessen Rot vielleicht einen Tick zu grell ist.
«Machst du mal hinten zu», bittet sie Jill.
«Luftholen solltest du aber besser nicht», spottet die, als der Reißverschluss endlich geschlossen ist.
Martha fühlt sich wie in einer Wurstpelle. Sie spürt, wie ihr der Schweiß ausbricht. Bestimmt bilden sich gleich Schwitzflecken unter den Achseln. Unsicher betritt sie die Bühne.
«Martha!» Miller nimmt abwehrend die Hände hoch. «Das ist hoffentlich nicht dein Ernst.»
Martha steht da wie ein geprügelter Hund und spürt den verhassten Druck hinter den Augen. Jetzt bloß nicht weinen! Das macht alles nur noch schlimmer.
«Na, so schlecht ist es nun auch wieder nicht», sagt Jill, sieht aber nicht sehr überzeugt aus.
«Denk dran, Martha, du bist eine junge, frisch verheiratete Frau, die gerade ihr erstes Kind erwartet», sagt Miller. «Du solltest unschuldig und verführerisch zugleich aussehen. Aber auf keinen Fall billig.»
Billig!
In Marthas Ohren klingt das wie eine Ohrfeige.
Die Kostüme der anderen sind dagegen perfekt. Am besten sieht natürlich Jill in ihrem weißen Negligé aus, wie sie fahrig durch die Gegend wandelt und sich mit zitternden Händen Whisky einschenkt, der in Wirklichkeit natürlich kein
Weitere Kostenlose Bücher