Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
ein altes Handtuch rein oder so was, klebst es zu und stellst es wieder hin.»
Martha weiß nicht, zum wievielten Mal sie die Treppe hoch und in den vierten Stock geht. Heute riecht es im ganzen Treppenhaus unangenehm nach gebratenen Zwiebeln.
Mit spitzen Fingern hebt sie die ausgefranste Fußmatte hoch, aber da liegt natürlich kein Schlüssel, nur Dreck. Martha fällt ein, dass die Putzleute die Matten immer hochstellen, wenn sie alle zwei Wochen das Treppenhaus reinigen. Die Dernburg wäre schön blöd, wenn sie da einen Schlüssel deponierte.
Sie schaut sich um. Hier gibt es weit und breit kein passendes Versteck. In einem Film hat sie mal gesehen, dass der Mörder den Schlüssel oben auf den Türsturz gelegt hatte. Aber der ist so hoch, dass Martha nicht rankommt. Und wenn sie das schon nicht schafft, dann die Dernburg erst recht nicht, die ist einen Kopf kleiner als sie.
Rechts führt die Treppe zum Dachboden. Nicht, dass sie erwarten würde, dort etwas zu finden, trotzdem geht Martha die Stufen hoch. Auf dem Treppenabsatz stehen Blumentöpfe mit eingetrockneten Blumenzwiebeln. Martha erkennt Hyazinthen und Tulpen. Die Dernburg kann anscheinend nichts wegwerfen.
Nacheinander hebt sie die Töpfe in die Höhe, wühlt in der staubigen Erde. Nichts. Der letzte Topf steckt in einem braun lasierten Übertopf. Martha zieht ihn heraus, es klirrt leise. Sie greift in den Übertopf und zieht einen Schlüssel heraus. Es ist ein Sicherheitsschlüssel, ohne Anhänger, ohne Schild. Marthas Herz fängt an, wie wild zu klopfen. Hoffentlich ist es der richtige.
Sie geht wieder hinunter und klingelt vorsichtshalber an der Tür. Aber natürlich tut sich nichts. Sie steckt den Schlüssel ins Schloss und sieht mit Schrecken, dass es darüber noch ein zweites Schloss gibt. Wenn das auch abgeschlossen ist, dann war’s das.
Aber sie hat Glück, mit einem kurzen Ruck öffnet sich die Tür. Sie blickt in einen düsteren Flur. Wo ist das Päckchen? Ihr Päckchen!
Wenn ihre Mutter früher Post für die Nachbarn entgegengenommen hat, hatte sie die immer neben die Wohnungstür gelegt, aber hier liegt nichts. Martha traut sich nicht, das Licht anzumachen. Langsam gewöhnen sich ihre Augen an die Dunkelheit. Direkt gegenüber der Wohnungstür ist ein großer Wandschrank, die Dernburg wird das Päckchen doch nicht da reingestellt haben? Martha setzt einen Fuß in die Wohnung und noch einen. Nein, nicht im Schrank, da ist es! Am Ende des Flurs liegt es auf einer Kommode. Sie ist so aufgeregt, dass sie aus Versehen gegen eine Vase stößt, die neben der Kommode steht. Vertrocknete Zweige stecken darin. Martha holt tief Luft, richtet die Vase wieder auf – glücklicherweise ist sie heil geblieben – und stopft das Gestrüpp wieder rein. Dann nimmt sie das Päckchen, geht auf Zehenspitzen zurück zur Tür und zieht sie vorsichtig hinter sich zu.
Unten in der Wohnung ist ihr erster Impuls, das Päckchen einfach aufzureißen, aber sie denkt daran, was Jill ihr eingeschärft hat: «Du musst es natürlich zurückbringen.»
Mit einem scharfen Messer löst sie vorsichtig das Paketklebeband, zieht das Kleid heraus und möchte es am liebsten sofort anziehen – es ist wunderschön, es ist perfekt!
Sie legt es auf ihr Bett und holt aus dem Schrank den billigen roten Polyesterfummel, rollt ihn zusammen, stopft ihn in das Päckchen und klebt es wieder zu.
Gleich halb vier. Sie muss sich beeilen, kurz nach vier kommt ihre Mutter nach Hause.
Schnell läuft sie die Treppe hoch, schließt auf und – hört Schritte im Treppenhaus!
Ob das schon Constanze ist? Nein, dann würde man auch Poppy hören. In dem Moment, in dem Martha hinter der Tür verschwindet und sie leise zuzieht, weiß sie, dass es ein Fehler war. Warum ist sie nicht schnell die Treppe zum Boden hochgelaufen und hat da in Ruhe abgewartet?
Aber vielleicht hat sie ja Glück, und es ist nur irgendjemand, der Werbezettel verteilt, vor dem Briefschlitz liegt schon jede Menge von dem Zeug.
Sie lugt durch den Spion und sieht als Erstes die karottenroten Haare von Frau Dr. Dernburg, die in einem bodenlangen Mantel die Treppe hochstapft. Martha bleibt vor Schreck die Luft weg. Ohne nachzudenken, öffnet sie den Wandschrank und zwängt sich zwischen Jacken und Mäntel, die widerlich nach dem Kloreiniger-Parfüm riechen.
Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Ein schmaler Lichtstreif dringt durch einen Spalt in der Schranktür. Wenn die Dernburg die jetzt öffnet, um ihren Mantel
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