Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
ein paar Semester in Amerika studiert. Ihre Mutter hatte sogar vorgeschlagen, er solle ihr bei der Aussprache des Textes helfen. Aber lieber macht sich Martha mit ihrem gruseligen «th» lächerlich, als dass sie mit der Glatze ihre Rolle probieren würde.
«Zum Abendbrot gibt es Tagliatelle mit Spinat und Scampi.»
«Prima», sagt Martha. Heute kann sie auch richtig zulangen, der Rock des Kleides ist so weit oben angesetzt, dass sie darunter gut einen vollen Bauch verstecken kann.
Endlich ist Johannes verschwunden, und Martha möchte weiterträumen, da klingelt ihr Handy. Jill.
«Und? Hast du das Kleid?», will sie wissen.
Martha überlegt kurz, ob sie Jill die Wahrheit sagen soll, verdient hat sie es ja nicht.
«Wo warst du vorhin? Ich hab versucht, dich zu erreichen.»
«Beim Chor.»
Mist, das hatte Martha total vergessen. Sie hat Jill unrecht getan, und um das wiedergutzumachen, erzählt sie ihr die ganze Geschichte. Jill ruft abwechselnd: «Nein!» – «Ich glaub’s nicht!» – «Ist ja irre!» und schließlich: «Du hast vielleicht Mut.»
«Als ich dann noch mal bei der Dernburg war, um zu beichten, war keiner da», sagt Martha. «Und weißt du was? Ich glaube, die kriegt gar nicht mit, dass das Päckchen weg ist. Bei der liegt so viel Zeug rum. Ich geh jedenfalls nicht noch mal hoch.»
«Und das Kleid?»
«Das ist einfach nur himmlisch, ich kann gar nicht erwarten, Millers Gesicht zu sehen und –» Martha bricht ab, das hätte sie lieber nicht sagen sollen.
Jill schnalzt tadelnd mit der Zunge. «Wann kapierst du es endlich, Martha-Mäuschen, der steht nicht auf dich, vergiss es.»
«Du meinst, er ist schwul?» Martha wird ganz übel. Wieso hat sie daran noch nie gedacht? Die meisten gut aussehenden Männer sind schwul, oder etwa nicht?
«Nur weil er nicht auf dich abfährt, muss er nicht gleich schwul sein», sagt Jill. «Und überhaupt, wer verknallt sich schon in seinen Lehrer? Das ist doch total kindisch.»
«Wer sagt denn, dass ich in Miller verknallt bin?» Martha spürt, wie sie rot wird. Gut, dass Jill das nicht sehen kann.
«Was ist mit Vincent? Ich finde, ihr passt super zusammen. Auf meinem Geburtstag sah das jedenfalls so aus.»
Martha stöhnt auf. «Bitte erinnere mich nicht daran, das war einfach nur widerlich.»
«Das ist es beim ersten Mal immer», sagt Jill und lacht fies.
«Ich muss jetzt essen.» Martha hat keine Lust, noch länger mit Jill über dieses heikle Thema zu reden.
«Dann wünsch ich dir ein schönes Mahl im Kreis deiner Familie», spottet Jill.
«Ich dir auch», sagt Martha. Und fügt stumm
blöde Ziege
hinzu. Mit ihrer fiesen Bemerkung hat Jill ihr die Freude über das Kleid verdorben. Bleibt noch das Essen.
Doch das ist eine einzige Enttäuschung. Die Tagliatelle sind matschig, der Spinat zerkocht, die Scampi innen noch roh, die Stimmung gespannt. Die Einzige, der es schmeckt, ist Poppy. Sie liebt zerkochte Nudeln und manscht voll Wonne auf ihrem Teller herum.
Constanze schaut immer wieder besorgt zu Johannes hinüber, der Poppy abwechselnd den Mund abwischt oder runtergefallene Tagliatelle aufsammelt.
«Tut mir leid, ist heute nicht mein Tag», sagt er.
Martha springt auf, wobei ihr Stuhl umkippt. «Musst du dich eigentlich ständig entschuldigen? Das geht mir so was von auf die Nerven!»
«Martha!», ruft ihre Mutter. «Setz dich wieder hin!»
«Euer blödes Wir-sitzen-zusammen-am-Tisch-Spiel könnt ihr alleine spielen!»
Sie knallt die Tür von ihrem Zimmer so heftig zu, dass die Klinke abfällt. Geschieht denen recht, denkt Martha.
8.
G lücklicherweise fällt heute Deutsch aus, über der Geschichte mit dem Kleid und dem Krach am Abend beim Essen hat Martha völlig vergessen, Hausaufgaben zu machen. Sie nehmen gerade Erörterungen durch, das Langweiligste, was man sich nur vorstellen kann.
Jill geht natürlich in der Freistunde nach Hause. Martha erwartet, dass sie sie bittet mitzukommen, aber sie sagt nur: «Bis später Martha-Maus, ich muss noch was für die Französisch- AG machen.»
Dann bleibt nur die Cafeteria. Den Cappuccino dort kann man allerdings vergessen, der kommt aus der Tüte. Sie kauft sich eine Rhabarberschorle und setzt sich ans Fenster, von dem aus sie den Hof sehen kann.
Außer ihr sitzen nur ein paar Abiturienten in der Ecke an der Tür und brüten lautstark über irgendeinem mathematischen Problem.
Sie öffnet ihren Rucksack und zieht die Tüte mit dem Kleid heraus. Sie will es nur noch einmal anfassen. Der Stoff
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