Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Mitschülern», erzählt sie und zieht so heftig an ihrer Zigarette, dass ihre Wangen hohl werden.
«Vielleicht schämt sie sich ja», sagt Vincent.
Martha sieht ihn erstaunt an, so viel Feingefühl hätte sie bei ihm gar nicht vermutet.
«Schämen sollte sich doch wohl eher der Maskenmann», sagt Jill.
«Stimmt, aber ich könnte mir denken, dass es ihr auf jeden Fall peinlich ist.»
«Vincent hat recht», mischt sich Juliane ein. «Deswegen gehen ja auch so wenige Frauen nach einer Vergewaltigung zur Polizei, da werden sie nämlich zum zweiten Mal vergewaltigt.»
Jill verdreht die Augen. «Darf ich euch darauf hinweisen, dass es überhaupt keine Vergewaltigung gegeben hat. Der Typ hat sie nur betatscht, das war alles.» Sie dreht sich zu Simon um. «Das machst du ja bei mir andauernd, und ich rufe auch nicht gleich die Polizei.»
Simon grinst und legt Jill provozierend beide Hände auf den Busen.
«Du kannst von Glück sagen, dass ich durch die Jacke nichts spüre. Sonst würde ich dir eine scheuern.»
«Woher weißt du das, dass er sie angetatscht hat?», fragt Martha.
«Ich hab die Mutter gefragt, ganz einfach. ‹Unsittlich berührt› hat sie das genannt.»
«Aber unsittlich heißt doch, dass man eine Frau an ihrer –», beginnt Simon, doch ein drohender Blick von Juliane lässt ihn innehalten. «Ich meine, damit ist doch nicht ein Griff an den Arm gemeint.»
«Unsittlich ist zum Beispiel, was du eben bei mir gemacht hast, du Arsch», sagt Jill. In diesem Moment hält ein alter brauner Opel am Straßenrand. Die Fahrertür öffnet sich, und Miller steigt aus.
«Wo haben Sie denn Ihren Feuerstuhl gelassen?», fragt Simon.
Miller fährt mit den Füßen durch das feuchte Laub. «Der Feuerstuhl hätte mich neulich fast ins Jenseits befördert. Nasse Blätter auf der Straße sind schlimmer als eine Ölspur.» Er streicht sich über das linke Bein. «Das wäre beinah hin gewesen. Da lob ich mir diesen Oldtimer hier.» Er streicht über den eingebeulten Kotflügel.
«Gibt’s was Neues wegen unserm Stück?», fragt Jill.
Miller schüttelt den Kopf. «Tut mir wirklich leid, aber ich glaube, Dr. Lauses Nein war endgültig. So begeistert war er von der Auswahl des Stückes ja von Anfang an nicht.»
«Spießer!», zischt Jill.
«Die Generalprobe sollten wir trotzdem durchführen. Wenn ihr möchtet, kann ich das Ganze für euch aufnehmen», sagt Miller. «Bis später.» Mit schnellen Schritten geht er über den Hof, so schlimm kann die Verletzung seines Beines nicht gewesen sein.
Die Schulglocke schrillt. Jill nimmt einen letzten Zug, wirft die Zigarette auf den Boden und tritt sie so heftig aus, als wollte sie den Direktor höchstpersönlich zerquetschen.
«Ich weiß, was ich mache. Französisch fällt aus, ich hab in der Dritten und Vierten zwei Freistunden, da geh ich einfach hin.»
«Zu Lilli?», fragt Martha.
«Ganz genau. Ich kaufe ein Blümchen, dann lässt mich die Gluckenmutter bestimmt rein, und ich nutze die Gelegenheit, um den Zwerg zu bearbeiten.»
Sie streckt die Hand aus. «Jeder, der Interesse daran hat, eine großartige Schauspielerin in einer atemberaubenden Rolle zu erleben, gibt mir jetzt einen Euro.»
«Wofür?», fragt Simon dumm.
«Na, für die Blumen natürlich, du Hirni.»
In der fünften und sechsten Stunde ist Sport. Während Martha sich umzieht, hält sie vergeblich nach Jill Ausschau. Schließlich erscheint sie völlig außer Atem in der Halle, als die Mädchen sich bereits zum Volleyballspiel aufgestellt haben.
Als sie an Martha vorbeiläuft, hält sie den Daumen hoch und strahlt. Sie hat es mal wieder geschafft.
Jill schafft alles, was sie sich vornimmt, denkt Martha. Einfach alles. Und sie, was will sie eigentlich schaffen?
Dass er mich küsst, denkt sie. Sie will, dass Miller sie küsst. Nur ein einziges Mal. Mehr nicht. Und sie will, dass ihre Mutter bei Johannes auszieht. Zwei Ziele also. Sie könnte nicht sagen, welches ihr wichtiger ist.
Der Pfiff einer Trillerpfeife gellt ihr in den Ohren. «Martha! Träumst du? Du wirst hier nicht fürs Rumstehen bezahlt. Volleyball ist ein Spiel, bei dem man sich bewegen sollte.»
Die Sportlehrerin sieht sie kopfschüttelnd an. «Mädchen, Mädchen!»
In der Pause scharen sich alle um Jill.
«Jetzt erzähl endlich, wie war’s beim Zwerg?»
Martha sieht, wie ihre Freundin die Aufmerksamkeit genießt und sich in Positur stellt.
«Also, ich hab Blumen gekauft, besonders doll waren die nicht bei den paar
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