Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
sagt er: «Pam kannte jede Menge englische Reime. Manche hat Poppy behalten, aber ich glaub nicht, dass sie weiß, was sie bedeuten.»
«Der goldene Fisch hat mich in den Finger gebissen», sagt Poppy. Sie schiebt den halb leergegessenen Teller von sich weg und steckt sich den Daumen in den Mund. Dann zieht sie ihn wieder raus und fügt hinzu: «Aber es hat nicht weh getan.»
Johannes starrt seine Tochter an, und es sieht aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. Bitte nicht, denkt Martha. Ein heulender Mann ist wirklich das Allerletzte. Ihren Vater hat sie nie weinen sehen, noch nicht einmal an dem Tag, als er mit der Diagnose Lungenkrebs nach Hause kam.
«Pam ist mit Penelope immer ins Aquarium gegangen», sagt Johannes. «Da ist doch gleich am Eingang das Becken mit den Kois. Poppy mochte es, wenn die Fische an ihrem Finger geknabbert haben, stimmt’s?»
Poppy nickt bedächtig.
«Die beiden waren auch im Aquarium an dem Tag, als –» Johannes bricht ab, Constanze legt ihm die Hand auf den Arm und schaut ihn besorgt an.
Martha steht auf. Jetzt hat es das Monster mal wieder geschafft, dass sich alles nur um sie dreht.
«Bist du schon satt?», fragt ihre Mutter.
«Allerdings. Und es wäre schön, wenn das Hühnchen nicht auch im Aquarium landen würde.» Martha zeigt auf Poppys halbvollen Teller. «Das ist einfach nur widerlich.»
«Was meinst du denn damit?», fragt die Glatze.
«Ach nichts, Poppy hat nur eins von den Würstchen ins Aquarium geworfen, und Martha dachte, es wäre ein abgeschnittener Finger», erklärt Constanze.
Johannes lacht. «Oje, du Ärmste!»
«Haha», macht Martha und knallt ihre Zimmertür zu.
Sie muss hier raus. Keinen Tag länger hält sie es in dieser Zwangsgemeinschaft mit der Glatze und seiner Brut aus. Nicht einen Tag länger!
Sie stellt den Computer an und googelt
Mord an Psychologin in Berlin
. Aber es gibt nichts Neues, die Polizei tappt anscheinend immer noch im Dunkeln. Martha klickt auf die Seite eines Boulevardblattes. Die Überschrift versetzt ihr einen Schlag in die Magengrube:
Mordfall Dr. D. – Warum schweigt die Zeugin?
Zitternd bewegt sie den Cursor weiter nach unten und atmet erleichtert auf, als sie das Foto einer Frau sieht.
Darunter steht:
Weiß Elzbieta W. mehr, als sie der Polizei gegenüber zugegeben hat? Wie Recherchen unseres Polizeireporters ergeben haben, ist die Reinemachefrau von Frau Dr. D. der Polizei nicht unbekannt. Sie ist wegen Drogenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Angeblich ist sie durch die Therapie von Frau Dr. D. clean geworden. «Ich habe dieser Frau alles zu verdanken», erzählt Frau W. unserem Reporter. «Sie hat mich von den Drogen weggebracht. Ich hätte ihr nie etwas antun können.» Sie vielleicht nicht, aber vielleicht jemand aus dem Drogenmilieu, in dem sie so viele Jahre verbracht hat. Fest steht jedenfalls, dass die Praxis von Frau Dr. D. durchsucht worden ist.
Martha versucht sich zu erinnern. Ja, irgendwann ist diese schmächtige, etwas ungepflegte Frau an ihr vorbei die Treppe hochgegangen, das muss die Putzfrau gewesen sein.
Unter dem Artikel sind zwei, drei Kommentare gepostet.
Typisch Sensationspresse! Da raucht mal eine einen Joint und wird gleich als Mörderin diffamiert. Dabei sind die wahren Schuldigen ganz woanders zu suchen. Hat sich schon mal jemand gefragt, ob es vielleicht ein Racheakt von jemandem war, der in den Mühlen der Psychiatrie erst richtig wahnsinnig geworden ist?
, schreibt jemand mit dem Nickname
Leine über Bord
Eine Userin namens
Blaubeerwölkchen
schreibt:
Kann man denn in dieser Stadt überhaupt nicht mehr sicher leben? Was tut die Polizei eigentlich den ganzen Tag?
Martha starrt auf die Bücher, die auf ihrem Schreibtisch liegen. Sie müsste Deutsch machen, eine dialektische Erörterung zu dem Thema
Wahlrecht schon mit 16
?
Martha ist 16 , aber das Thema interessiert sie nicht die Bohne. Um wählen zu können, müsste sie sich mit Politik beschäftigen, wissen, welche Parteien es gibt und wofür sie stehen. Sie gibt
Wahlrecht mit 16
in der Suchmaschine ein, findet ein paar Argumente dafür und dagegen und schreibt sie ab. Frau Schädlich, die Deutschlehrerin, akzeptiert nur handschriftlich gemachte Aufgaben, als ob man da nicht genauso pfuschen kann. Es dauert nur länger, denkt Martha und schreibt besonders groß, damit es nach mehr aussieht.
Sie denkt an den kommenden Freitag. Sie hat Angst, aber gleichzeitig auch das Gefühl, dass etwas
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