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Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwig
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losreißen und weglaufen, sodass nichts Schlimmes passiert ist. Aber es hätte etwas passieren können, und das allein ist schon furchtbar genug. Alle Eltern werden von mir ein Schreiben bekommen, in dem die Situation geschildert wird. Außerdem werden die Schultüren nur noch in den Pausen geöffnet sein. Wer von euch in Zukunft zu spät kommt, muss klingeln.»
    «Na toll», sagt Jill neben Martha. «Das kann ja heiter werden.»
    «Es tut mir leid, dass wir zu solchen Maßnahmen greifen müssen, aber die Sicherheit unserer Schüler und Schülerinnen hat natürlich oberste Priorität.»
    Wieder ruckelt Dr. Lause an seiner Fliege. «Es kann sein, dass die Polizei einige von euch befragt. Auf jeden Fall werden Untersuchungen stattfinden. Wer irgendetwas beobachtet hat, meldet sich bitte im Sekretariat.»
    «Wie sah der Mann denn aus?», ruft jemand.
    «Er war maskiert», sagt der Direktor. «Mehr kann ich euch nicht sagen. Bitte geht nun zurück in eure Klassen, damit der Unterricht ordnungsgemäß stattfinden kann.»
    «Ordnungsgemäß stattfinden kann», äfft Jill Dr. Lause nach. «Jetzt schreiben wir wahrscheinlich doch noch Physik. Ätzend.»
     
    Sie schreiben den Physiktest, aber Martha kann sich kaum auf die Aufgaben konzentrieren. Der Gedanke daran, dass sich ein maskierter Mann an der Schule herumtreibt und versucht, Schülerinnen zu vergewaltigen, ist noch beängstigender, als zu wissen, dass in der Wohnung über ihr ein Mord stattgefunden hat.
    In der vierten Stunde haben sie Englisch.
    Miller betritt die Klasse – und zum ersten Mal, seit Martha ihn kennt, macht er ein ernstes Gesicht, nein, sein Gesicht ist nicht nur ernst, er sieht schockiert aus, am Boden zerstört. Als er zum Lehrertisch geht, zuckt er kurz zusammen, als habe er Schmerzen.
    «Was ist denn jetzt heute Morgen genau passiert?», fragt Simon. «Sie wissen doch bestimmt Einzelheiten.»
    Miller fährt sich über die Augen. «Ich weiß auch nicht viel mehr als ihr, also das Mädchen, Lilli aus der 7 a, die war –»
    «Lilliputt?», ruft Martha. «Ausgerechnet die?»
    Jeder in der Schule kennt das Mädchen. Von ihren Mitschülern wird sie
Lilliputt
genannt oder auch
Der Zwerg
. Das ist natürlich gemein, aber sie ist mit Sicherheit die Kleinste an der Schule. Sieht aus wie acht oder neun, ist aber schon zwölf. Sie spielt ziemlich gut Klavier und begleitet regelmäßig den Chor.
    «Lilli hat sich heute Morgen wie an jedem Montag um Viertel nach sieben von Herrn Woitke die Aula aufschließen lassen, sich dann ans Klavier gesetzt und angefangen zu spielen, dabei saß sie mit dem Rücken zur Tür und hat wohl erst bemerkt, dass hinter ihr einer reingekommen ist, als der Mann ihr den Mund zugehalten hat.»
    «Und der Typ war maskiert?», fragt Jill.
    «Er trug eine Faschingsmaske, ja», sagt Miller. «Lilli konnte sich losreißen, ist aus der Aula gerannt und zu Herrn Woitke, es war ja sonst noch niemand in der Schule. Als ich in die Schule kam, hockte das arme Ding wie ein Häufchen Elend im Sekretariat. Glücklicherweise hatte Herr Woitke schon die Polizei alarmiert.»
    Miller öffnet seine Aktentasche und zieht das Englischbuch heraus. Er starrt es an, als habe er es noch nie gesehen. «Leider ist da noch etwas, und das betrifft die Theater- AG –» Er bricht ab und räuspert sich.
    Martha spürt, wie Jill neben ihr die Luft anhält.
    «Die Aufführung am Freitag wird nicht stattfinden.»
    «Nein!», ruft Jill. «Bitte nicht! Das geht nicht!»
    Sie sieht aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
    «Der Direktor meint, wir könnten in der Schule ja wohl schlecht ein Stück aufführen, in dem eine Vergewaltigung vorkommt, nachdem … also nach diesem Vorfall heute.»
    «Aber die Vergewaltigung sieht man doch gar nicht, die wird ja nur angedeutet», ruft Jill, und ihre Stimme ist ganz heiser vor Verzweiflung.
    «Als ich das Stück das erste Mal gelesen hab, hab ich gar nicht mitgekriegt, was genau Stanley mit Blanche anstellt», sagt Martha und bereut es sogleich. Bestimmt hat sie nur wieder gezeigt, dass sie nichts kapiert hat.
    Miller lächelt bitter. «Das hab ich Dr. Lause alles gesagt, hab ihm sogar angeboten, dass wir die Stelle streichen, aber er war nicht davon abzubringen.»
    «Aber wenn dem Zwerg, äh … ich meine Lilli, doch gar nichts passiert ist, dann verstehe ich nicht, warum wir unser Stück nicht aufführen dürfen», sagt Jill.
    «Genau», pflichtet Simon ihr bei. «Wozu haben wir denn die ganze Zeit wie die

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