Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Martha-Maus. Was hast du zu verlieren? Nichts.»
«Ich weiß nicht, wie das gehen soll», sagt Martha abwehrend.
«Hab ich nicht gesagt, dass ich dir dabei helfe?» Jill zieht Martha am Arm. «Komm mit zu mir, und wir fangen gleich an.»
«Anfangen? Womit denn anfangen?»
«Wir basteln dir eine virtuelle Identität», sagt Jill, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
Bei Jill zu Hause waren sie schon lange nicht mehr, meistens treffen sich die beiden Freundinnen im Engelmann. Martha hat seit längerem das Gefühl, dass Jill nicht will, dass man sie besucht, traut sich aber nicht zu fragen, warum.
Jills Vater ist ein hohes Tier bei Siemens und arbeitet seit zwei Jahren in London. Davor war er in Abu Dhabi. Er ist manchmal wochenlang nicht in Berlin. Vielleicht war es das, was Jill und sie damals zusammengebracht hat, die Abwesenheit ihrer Väter.
Als Jill jetzt die Wohnungstür aufschließt, ruft sie laut:
«Ich bin’s, Mama! Martha ist auch hier.»
Es klingt fast, als wollte sie ihre Mutter warnen.
«Hallo, Frau Karnick», sagt Martha in den leeren Flur hinein, an dessen Wänden unzählige Fotos hängen. Es sind ausschließlich Fotos von Jill: Jill als Baby, im Kindergarten, bei der Einschulung. Bestimmt wird sich bald eins von Jill in ihrer Rolle als Blanche dazugesellen.
«Wahrscheinlich hat meine Mutter sich hingelegt», sagt Jill. «Wir haben gestern noch gefeiert.»
Sie geht mit Martha in ihr Zimmer. Hier sieht es aus, als sei eine Bombe explodiert. Aufgerissene Schubladen, Stapel von Klamotten auf dem Boden und dem Bett. Jill nimmt den Laptop vom Schreibtisch, schiebt einen Berg Unterwäsche beiseite und setzt sich aufs Bett.
«Erst mal sollten wir überlegen, in welcher Zeitung du deine Kommentare abgeben solltest.»
«In der, in der überhaupt noch etwas über den Mord steht, meinst du nicht?» Martha quetscht sich neben Jill aufs Bett.
«Hast recht, im Moment schreiben ja alle nur über den Opa, den sie auf dem U-Bahnhof beinah totgetrampelt haben. Hoffentlich finden wir überhaupt noch was. Warte … «
Konzentriert starrt Jill auf den Bildschirm. Ihre Nase zuckt. Wie ein Spürhund auf der Fährte, denkt Martha.
«Bingo! Hier ist was in der Online-Ausgabe vom
Tageblatt
. Hör mal:
Immer noch keine heiße Spur im Fall der ermordeten Therapeutin. Inzwischen gibt es neue Details über die Todesursache: Nach noch unbestätigten Informationen wurde Frau Dr. D. erschlagen. Angeblich ist eine Bronzeplastik aus der Wohnung der Getöteten verschwunden – war sie das Mordwerkzeug? Darüber ist nichts bekannt. Auch die Spur in das Drogenmilieu hat sich als unbrauchbar erwiesen. Auf Anfrage unseres Reporters teilte uns die Polizei mit, dass man noch dabei sei, weitere Spuren auszuwerten.»
Martha erschrickt. «O Gott, meinen die mit weiteren Spuren etwa mich?»
Jill dreht sich zu Martha um. «Quatsch, weitere Spuren heißt nichts anderes, als dass sie keine Ahnung haben, wo sie suchen sollen. Die tappen im Dunkeln.»
Jill schaut wieder auf den Bildschirm. «Hier ist die Kommentarfunktion, da schreiben wir gleich was hin.»
«Und was bitte?»
Jill kaut auf ihrer Unterlippe herum. «Hm, wir müssen jetzt sehr geschickt vorgehen … einerseits dürfen wir nicht zu viel verraten, andererseits wollen wir, dass er drauf anspringt. Hast du die Plastik mal gesehen?»
«Plastik? Was denn für eine Plastik?»
«Na, diese Bronzeplastik, mit der sie erschlagen worden sein soll.»
Martha schüttelt den Kopf. «Ich war ja nur im Flur.»
«Im Schrank, um genau zu sein», kichert Jill. Es scheint, als mache ihr das Ganze großen Spaß.
«Aber die Glatze, also Johannes, hat bei ihr auf der Couch gelegen. Und er meinte, dass da der
Schrei
rumstand.»
«Was denn für ein Schrei?», fragt Jill.
«Es gibt doch dieses berühmte Bild von Edvard Munch, kennst du das nicht?»
«Nie gehört.»
Martha ist stolz, dass sie ihrer Freundin zum ersten Mal etwas voraus hat. Sie legt sich die Hände an die Ohren und reißt den Mund zu einem stummen Schrei auf. «So in etwa sieht das aus. Eine Version davon ist vor zwei Jahren für ein paar Millionen verkauft worden. Also, ich möchte das nicht bei mir rumhängen haben.»
Jill tippt aufgeregt etwas in eine Suchmaschine ein. «Perfekt! Nirgendwo wird im Zusammenhang mit dem Mord dieser komische Schrei erwähnt. Das heißt, nur du und der Täter wissen davon. Das ist der perfekte Einstieg.» Sie schlägt Martha begeistert auf die Schulter. «Und wenn
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