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Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwig
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war es auch ganz anders. Homer hat gesehen, wie Poppy das Geld geholt hat, und ihm muss klar gewesen sein, dass es sich bei dem Kind unmöglich um Godzilla handeln konnte. Vielleicht hat er ihr die Tüte weggenommen, was hätte Poppy dann gemacht? Sie wäre ihm hinterhergelaufen. Wäre ihm bis zur Bundesallee gefolgt, auf die Straße gerannt, vor ein Auto und –
    In diesem Augenblick gellt eine Feuerwehrsirene. Martha hält sich unwillkürlich die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Ist das schon der Unfallwagen? Nein, er fährt weiter, hält nicht an. Das Heulen der Sirene verebbt.
    Und genau in diesem Moment wird ein Schleier von Marthas Augen gerissen, nein, von ihren Ohren! Sie erinnert sich wieder an den merkwürdigen Ton, den sie bei Frau Dernburg gehört hat, kurz bevor sie aus der Wohnung geflüchtet ist. Es ist eine Sirene gewesen, aber sie hatte anders geklungen als die Sirenen, die sie kennt. Anders als die Feuerwehrsirene von eben. Deshalb hat sie das Geräusch auch nicht einordnen können. Aber jetzt kann sie es: Millers Handyton klang genauso. Hatte in der Wohnung von Frau Dernburg vielleicht das Handy des Mörders geklingelt? Und war der Handyton zufällig derselbe, den auch Miller hat? Aber der hatte doch erzählt, er habe die New Yorker Feuerwehrsirenen aufgenommen. Stimmt das? Vielleicht wollte er auch nur angeben, und man kann sich diesen Jaulton irgendwo runterladen wie all die anderen albernen Klingeltöne auch.
    Martha steht am Ausgang des Parks und weiß nicht, was sie tun soll. Die Polizei anrufen? Nein, zuerst doch wohl Homer. Mit zitternden Fingern klappt sie Millers Handy auf. Sie geht auf die letzte SMS , die sie von Homer bekommen hat, und tippt auf «Anruf».
    «Diese Nummer ist nicht vergeben», ertönt es. Und dann piept es einmal und noch einmal, und das Handy ist tot. Sie hat vergessen, es aufzuladen. Nein, nicht vergessen, sie hätte es gar nicht aufladen können. Miller hatte ihr kein Ladegerät gegeben.
    Sie muss zu ihm. Irgendetwas tief in ihr drin sagt ihr, dass er etwas mit der ganzen Sache zu tun hat. Warum ist sie nicht gleich stutzig geworden, als er ihr geraten hat, nicht zur Polizei zu gehen? Würde ein Lehrer das tun?
    Kurz überlegt sie, ob sie nach Hause laufen und ihr Rad holen soll. Nein, das kann sie jetzt nicht. Jetzt kann sie nur eins: rennen.
    Sie rennt, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt ist. Die ganze Zeit sieht sie Miller vor sich, wie er sich nach der Premiere zu Poppy heruntergebeugt und mit ihr gesprochen hat. Er war völlig von ihr absorbiert gewesen, hatte nichts mehr um sich herum wahrgenommen. Es war ihr komisch vorgekommen, sicher. Aber sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, weil sie nicht darüber nachdenken wollte, darum. Und genau wie mit Johannes wäre Poppy natürlich auch mit Miller mitgegangen, schließlich ist er kein Fremder für sie.
    Während sie zwischen wild hupenden Autofahrern über die Straße läuft, fällt ihr wieder ein, dass Miller heute nach New York fliegen wollte, aber das geht ja nicht, wenn gestreikt wird. Vielleicht hat er das ja auch nur erzählt, damit sie ihn in Ruhe lässt. Martha weiß nicht mehr, was sie glauben soll, sie weiß auch nicht, wovor sie mehr Angst hat: dass Poppy bei ihm ist oder dass sie nicht bei ihm ist.

27.
    A ls Martha vor Millers Haus ankommt, steht sein Auto davor. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
    Sie kann nicht mehr klar denken, außerdem hat sie Seitenstiche, und beim Luftholen krampft sich in ihrer Brust alles zusammen. Sie beugt sich vor und versucht ruhig ein- und wieder auszuatmen.
    Vielleicht irrt sie sich, vielleicht hat Miller Poppy ja auch gerettet. Es könnte doch sein, dass er sich irgendwo versteckt gehalten hatte, um zu sehen, ob die Geldübergabe auch klappt, und als Poppy in Gefahr geraten ist, hat er sie sich geschnappt und in Sicherheit gebracht. Martha konnte er nicht verständigen, weil ihr Handy tot war. Ja, so könnte es gewesen sein. Doch als sie jetzt den Plattenweg auf das Haus zugeht, weiß Martha, dass es nicht so gewesen ist. Sondern anders, ganz anders.
    Sie streckt den Finger aus, um zu klingeln, und zieht ihn wieder zurück, als habe sie sich verbrannt. Stattdessen läuft sie um das Haus herum. In der seitlichen Hauswand fällt ihr ein kleines Fenster auf. Es ist zu weit oben, als dass sie hindurchschauen könnte. Auf der Rückseite des Hauses dann die Terrasse, von der drei bröckelige Stufen in einen ungepflegten Garten führen.

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