Am Ende der Wildnis
viel Aufwand auf einer Insel betrieben haben sollte, die acht Kilometer Schwimmstrecke von jeglicher anderen bedeutsamen Land masse entfernt lag – wenn er nicht vorgehabt hätte, dort eine Weile zu leben. Mary Island ist zwanzig Quadratkilometer groß und vom Holzeinschlag verschont geblieben; Nahrung und Trinkwasser standen im Überfluss zur Verfügung, und niemand hatte die Insel je mit dem Ziel abge sucht, jemanden zu finden, der sich verstecken wollte. Wenn es sich aber nicht so zugetragen hatte, welche Alternative blieb dann – dass ein Bär die Axt zwischen den Zähnen den Strand hinaufgeschleppt hatte? Sollte der Schiffbrüchige Dennis Harrington/Roe sie bewegt haben? Unwahrscheinlich, denn er wurde von der gegenüberliegenden Inselseite gerettet, und mit seinen wunden Füßen hätte er ohnehin nicht weit gehen können. Es besteht kaum Zweifel, dass Scott Walker der Erste war, der den Kajak fand, und auch das geschah nur zufällig. Noch nachdem er der Coast Guard genaue Wegbeschreibungen gegeben hatte, vermochte sie den Ort nicht zu finden, bis er sich noch einmal zurückbegab und große Bruchstücke des Kajaks an einen Baum nagelte. Unter Hadwins Habseligkeiten befand sich in einem Etui für Rasierzeug auch eine Medikamentenflasche. Laut Sergeant McPherron war das Etikett bis auf Hadwins Namen unleserlich, und daher warf er die Flasche weg. Er konnte sich nicht mehr erinnern, ob sie leer oder voll gewesen war.
Cora Gray, die gute Gründe hatte, ihren Träumen besondere Beachtung zu schenken, erwachte eines Morgens, nachdem sie einen Mann in einem grünen Regenmantel irgendwo vor der Küste mit dem Gesicht nach unten hatte im Wasser treiben sehen. Aber es ist schwer zu entscheiden, wie buchstäblich man diese Traumbilder nehmen soll. Sie mag ja tatsächlich jemanden gesehen haben, vielleicht dieselbe Person, für die Hadwins zahnärztliche Unterlagen angefordert wurden, aber Hadwins Regenmantel war gelb, und er trug ihn gar nicht, als er seinen Kajak aufgab. Das wissen wir, weil Scott Walker ihn zusammen mit seinen restlichen Regensachen gefunden hatte. Nichtsdestoweniger wäre so ein Schicksal einleuchtend, sogar unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich, aber eine andere Hellseherin, die auch glaubt, Hadwin gesehen zu haben, teilt diese Meinung nicht. Hadwins Ehefrau Margaret, eine fromme Christin, sah sich bei zwei Gelegenheiten veranlasst, eine Seherin aufzusuchen. Die Frau sagte, sie sehe Hadwin, er lebe im Süden von British Columbia. Er sei bei schlechter Gesundheit, sagte sie, und arbeite nur, um zu essen zu haben. Irgendwie klingt das nicht nach ihm, auch nicht in einer Notlage.
Von den diversen angeblichen Hadwin-Sichtungen, die sich während jener Zeit entlang der Küste zutrugen, fand eine das besonders aufgeregte Interesse der Behörden beiderseits der Grenze. Am 31. August, mehr als zwei Monate nachdem sein Kajak gefunden worden war, wurde ein Mann, auf den Hadwins Beschreibung passte, dabei gesehen, wie er eine Fähre in Pelican, Alaska, bestieg, einem winzigen Fischerdorf auf Chichagof Island unweit von Sitka. Dem Anschein nach hatte man ihn des Ortes verwiesen. Die RCMP in Prince Rupert wurde telefonisch informiert, nachdem sechs separate Bestätigungen eingegangen waren, dass der Mann so aussah wie Hadwin auf dem Foto seines Vermisstenplakats, das im Ort aushing. Ziel der Fähre war Juneau, die Hauptstadt des Bundesstaates, und ein Sergeant Tyler stellte dort den Verdächtigen, der im Verhör behauptete, Archäologe aus Prince Rupert zu sein und Urlaub zu machen. Sergeant Tyler blieb der Situation angemessen skeptisch, nahm beide Daumenabdrücke des Mannes und faxte sie nach Prince Rupert. Auch die Abdrücke waren denen Hadwins verblüffend ähnlich, aber schließlich kam man doch zur Überzeugung, dass sie einem anderen Mann gehörten. Seither hat weder Hadwin noch sonst jemand, der ihm ähnelte, die Aufmerksamkeit der Behörden erregt, und deswegen brodelt die Gerüchteküche:
Er wurde von Ureinwohnern umgebracht.
Er lebt als Fallensteller außerhalb von Meziadin Junction (einer Wegkreuzung in der Wildnis östlich von Hyder).
Er wurde auf Wrangell Island gesehen (zwischen Sitka und Ketchikan).
Er steckt in den Staaten im Gefängnis.
Er ist in Sibirien.
Hadwins jüngere Kinder – jetzt in den Zwanzigern – klammerten sich jahrelang an die Hoffnung, dass ihr Vater noch lebte. Sie leiden unter dem, was Psychologen »uneindeutigen Verlust« nennen. Ein Elternteil unter welchen
Weitere Kostenlose Bücher