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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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Selbst wenn sie diesen Schritt überlebt hatte, würde es noch zwei oder drei Jahre dauern, bis diese Frankenstein-ähnliche goldene Fichte fürs Umpflanzen be reit war. Während dieses langwierigen und arbeitsintensiven Prozesses waren viel Zeit und Raum vorhanden, um etwas schiefgehen zu lassen, aber niemand zweifelte daran, dass es die Mühe und das Risiko wert war. Diese Ableger versprachen im Gegensatz zu denen von Sziklai und Bentham, dass das Edelreis zu einem Baum heranwachsen würde und nicht nur zu einem Ast. Wenn Palmers Propfen anwuchsen und alles gut ging, würde eventuell wieder eine wahre goldene Fichte das Yakoun zieren.

KAPITEL DREIZEHN
    Kojote
    … wilde Tiere
    Sind von Buddhas Wesen
    Alle
    Außer dem Kojoten.
    Gary Snyder, How Rare to Be Born a Human Being
    I m April, als die Suche nach Hadwin allmählich abflaute, blühten die Knospen an Luanne Palmers Edelreisern der goldenen Fichte auf. Und Mitte Juni, als sie um zweieinhalb Zentimeter gewachsen waren, wurden Hadwins Kajak und seine Zeltausrüstung von Scott Walker auf Mary Island gefunden. Für Außenstehende mag es damals den Anschein gehabt haben, als seien die Überlebenschancen der goldenen Fichten erheblich größer als die Hadwins. Aber statt seinen Tod zu bestätigen und den Fall abzuschließen, entfachte die Entdeckung auf Mary Island alten Argwohn aufs Neue, sowohl in den Köpfen der Polizei als auch bei denjenigen, die Hadwin persönlich kannten. Obgleich die Trümmer der Beweis hätten sein können, dass es tatsächlich zu einem Unglück auf See gekommen war, erschien es in Anbetracht dessen, was die Ermittler über diesen Mann wussten, gleichermaßen plausibel, dass es sich um eine Inszenierung handelte. Bei genauerer Betrachtung fielen einem jede Menge Möglichkeiten ein, wie ein Kajak seinen Weg auf die Felsen am Edge Point gefunden haben könnte.
    Computergenerierte Szenarien ließen darauf schließen, dass Hadwins Kajak entsprechend der jahreszeitlich vorherrschenden Winde von fast überall aus der Hecate Strait in den Revillagigedo Channel getrieben sein konnte. Das eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten, angefangen damit, dass Hadwin auf dem Weg nach Masset gekentert sein konnte, bis zu der Spekulation Constable Walkinshaws, dass er »draußen auf dem Wasser abgeknallt« worden sein könnte. Bei dem starken Schiffsverkehr, der in der Gegend herrschte, konnte er auch mit einem Schiff kollidiert sein – durch einen Unfall oder absichtlich. Was auch immer geschehen war, gilt es als ziemlich sicher, dass Hadwins Kajak unbeschädigt blieb, bis er strandete. Wäre das Cockpit voll gelaufen, hätte die vereinte Kraft von Stämmen, Felsbrocken und Brandung es schnell zerbrochen und seinen Inhalt verstreut. Der größte Teil wurde in der Nähe gefunden. Es fehlten allerdings Hadwins Paddel, seine Pumpe und na türlich er selbst. Es überrascht nicht, dass er keine Rettungs weste trug und wahrscheinlich auch nie getragen hatte, denn sie wurde unbenutzt bei Edge Point gefunden. Hadwins Nahrungsmittel waren nirgends zu finden, aber es mochte durchaus sein, dass sie innerhalb weniger Stunden von Tieren verspeist worden waren.
    Wäre Hadwin gekentert, hätte er wohl nicht gewusst, wie er seinen Kajak wieder aufrichten sollte, ohne das Cockpit zu verlassen, denn das ist schon unter besten Umständen nicht leicht und bei schwerer See mit einem beladenen fünfeinhalb Meter langen Boot ein höchst verzwicktes Manöver. Deswegen hätte er das tun müssen, was Kajakfahrer einen »nassen Ausstieg« nennen, um danach das Boot von Hand umzudrehen und wieder hineinzuklettern. Die fest verschließbaren und wasserdichten Ladekammern am Bug und am Heck hätten dafür gesorgt, dass der Kajak nicht gesunken wäre, aber das Cockpit hätte unter Wasser gestanden. Selbst wenn es ihm gelungen wäre, es vollständig leer zu pumpen (eine ziemliche Anstrengung bei rauem Wetter), wäre die Uhr der Unterkühlung, die bereits tickte, in kürzester Zeit abgelaufen. Im Wasser geht Körperwärme fünfundzwanzig Mal schneller verloren als in trockener Luft, und die durchschnittliche Wassertemperatur in der Hecate Strait beträgt im Februar ungefähr vier Grad Celsius. Auch ohne die Kälteempfindung mit einzubeziehen, die durch Wind verursacht wird, würde es ungefähr eine halbe Stunde dauern, bis ein normaler Mensch außer Gefecht gesetzt wäre, und nur eine oder zwei Stunden länger, bis er das Bewusstsein verlöre. Hadwin, der es ja besonders lange in kaltem

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