Am Ende der Wildnis
Schutzgebiete einigen Angehörigen der Industrie ein Dorn im Auge. 2003 gestand ein einheimischer Förster während eines Spaziergangs durch einen set-aside aus Altbestand auf Vancouver Island: »Wenn das hier mir gehörte, würde ich alles fällen lassen und mit Tannen aufforsten.« Der Park ist kaum größer als drei Hektar. Hundert Meter weiter fährt alle zwanzig Minuten ein schwer beladener Langholzlaster vorbei.
Mitte der Siebziger erkannte man, welchen Freizeit- und Erholungswert die goldene Fichte als Ausflugsziel bot, und auf Drängen der einheimischen Holzfäller- und Forst gemeinde wurde bei MacMillan Bloedel der Plan gefasst, um den Baum herum fünf Hektar Altbestand zu belassen. Der Schutz des Baumes wurde jedoch zum Streitpunkt, als jüngste Umweltbestimmungen den Holzschlag an Flussufern und anderen empfindlichen flussnahen Zonen verboten. Die Haida wurden in dieser Angelegenheit nicht offiziell konsultiert, weil offenbar unter der weißen Bevölkerung niemandem klar war, dass der Baum für sie eine besondere Bedeutung besaß. Aber dasselbe ließe sich auch von den Haida sagen, denn selbst von den Stammesangehörigen kannte nur eine Handvoll die Geschichte, die sich mit ihm verband, und zu jener Zeit hatten sie dringlichere Probleme. Das Recht, in Kanada zu wählen, wurde den Ureinwohnern erst 196 0 ******** zugesprochen, und das Wiederaufleben der Haida befand sich noch in der Anfangsphase. Für sie wie für viele andere nordamerikanische Stämme begann gerade erst eine Zeitspanne der Selbstfindung.
Inzwischen hatte MacMillan Bloedel einen gangbaren Weg zur goldenen Fichte angelegt, und es war eine Bank aufgestellt worden, damit Besucher in aller Ruhe den Baum betrachten konnten, der am Westufer auf der anderen Seite des Flusses stand. Der Baum selbst war nicht zu erreichen, es sei denn, man hatte ein Boot oder marschierte mehrere Kilometer hinauf zur nächsten Brücke und dann auf der anderen Seite flussabwärts. Doch das war ein Um weg, der wegen des dichten Unterholzes und weitverbreite ten Windbruchs mehrere Stunden in Anspruch nahm. 1984 machten dann Reisebusse regelmäßig an dem Baum halt, was dem lokalen Geschäftsleben einschließlich des Golden Spruce Motels zugutekam. 1997 erhielt der ohnehin wachsende Ökotourismus, der die Stadt erblühen ließ, zusätzlich Auftrieb, als ein Albinorabe auftauchte. Gewöhnlich werden diese Vögel von ihren schwarzen Artgenossen getötet oder vertrieben, und so war der weiße Rabe der Einzige seiner Art in der Provinz. Mit ihm und der goldenen Fichte hatte Port Clements den Sektor »Besonderheiten der Natur« im westlichen Kanada abgedeckt.
Sowohl der Baum als auch der Rabe besaßen eine ver schreckende und übernatürlich erscheinende Eigenart, und an einem sonnigen Tag beeindruckt – oder verblüfft – das Leuchten der goldenen Fichte unweigerlich jeden, der es erblickt. D’Arcy Davis-Case, eine Forstexpertin, die jahrelang auf Haida Gwaii lebte, bevor sie bei den Vereinten Nationen Beraterin in Forstfragen wurde, erinnerte sich, dass »Botaniker und Dendrologen ewig versuchten, die gol dene Farbe des Baumes zu erklären«. Auf die Frage, zu welchem Schluss sie gekommen seien, schmunzelte Davis-Case und verdrehte die Augen. »Magie!«, sagte sie.
Denjenigen, die das Glück hatten, die goldene Fichte in hellem Sonnenlicht zu sehen, erscheint die Erklärung von Davis-Case einleuchtend. Viele sprachen von einem eigentümlichen Strahlen, als würde der Baum tatsächlich irgendwo tief zwischen seinen Ästen eine Lichtquelle besitzen. Ruth Jones, eine Künstlerin aus Vancouver, besuchte die goldene Fichte eines sonnigen Spätnachmittags im Jahr 1994. »Sie sah aus, als bestünde sie aus glänzendem Gold«, sagte sie. »Es war wie im Märchen. Wie kann das sein?« Nachdem er sie 1995 an einem sonnigen Tag gesehen hatte, kehrte der Journalist Ben Parfitt mit dem Eindruck wieder, dass sie »irgendwie näher und lebendiger war als alle anderen Bäume in ihrer Umgebung«. Marilyn Baldwin, die Eigentümerin eines Sportartikelgeschäfts in Prince Rupert auf der anderen Seite der Hecate Strait, besuchte den Baum Anfang 1990 an einem grauen und nebligen Tag. »Einige Minuten nachdem wir dort eintrafen«, erinnerte sie sich, »brannte die Sonne den Nebel weg, und plötzlich stand der Baum da in seinem goldenen Glanz. Wir nannten ihn den ›Ooh-Aah‹-Baum, denn das Staunen war alles, was wir über die Lippen brachten.« Ein leitender Ingenieur bei MacMillan
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