Am Ende der Wildnis
on winter nights
Alone beneath this fairy work of earth.
William Wordsworth, The Prelude ,
Book Sixth, 85–94 Cambridge and the Alps
Oft hab ich dort wie festgebannt verharrt
Und auf den wundersamen Baum geblickt,
Wie er im frostigen Mondlicht stand. Die Sphäre
Der Zauberdichtung wird mein Vers vielleicht
Niemals betreten, doch selbst Spenser hatte
Wohl kaum in seiner Jugend stillere
Und sanftere Gesichte oder konnte
Noch lichtere Erscheinungen erschaffen
Von Menschenform, doch Über-Menschen-Macht,
Als ich erschaute, wenn in klaren Nächten
Ich unter jenem feenhaften Werk
Der Erde einsam schauend mich verweilte.
Übertragen von Hermann Fischer, Leipzig1974
»Weil wir das Spirituelle auf die Innendimensionen des Lebens beschränken«, schloss Reverend Hamel, »lassen wir die gewaltsame Ausbeutung der Natur zu. Die Bäume, die Gottes Gerechtigkeit Beifall spenden, teilen diese Ansicht nicht. Die Vernichtung eines Baumes, und besonders die der goldenen Fichte, hat tief greifende Wirkungen auf uns. Dieses Geschenk, das uns Mutter Natur machte, verknüpfte uns mit unseren innigsten spirituellen Bedürfnissen. Seine sinnlose Zerstörung hat jeden von uns ebenso verletzt wie der Verlust seiner wundersamen Schönheit aus dem heiligen Hain am Yakoun River.«
Am nächsten Tag zogen mehr als hundert Haida den Yakoun hinauf, um sich mit dem Geist der goldenen Fichte auszusöhnen. »Die Ältesten weinten und beteten in ihrer Sprache«, erinnerte sich Marina Jones, eine Haida-Geistliche, die der Zeremonie beiwohnte. »Man spürte die Schwere – als hätten wir eines unserer Kinder verloren. Die Leute trugen ihre Decken mit dem Inneren nach außen gekehrt.« Jones rettete einen goldenen Zweig des Baumes für sich. Sie ließ ihn tiefgefrieren und hob ihn in einem hermetisch geschlossenen Plastikgefäß auf, als wäre er ein Teil vom wahren Kreuz Christi. Urs und Gabriela Thomas, die Inhaber des nahe gelegenen Golden Spruce Motel, bewahren einen großen goldenen Zweig am Empfangstresen in einem mit Alkohol gefüllten Glasgefäß auf, und dort ähnelt er eher dem Zweig einer seltenen Korallenart als dem eines einheimischen Baumes.
John Broadhead, Direktor einer lokalen Gruppe von Umweltforschern, der mehr als dreißig Jahre eng mit den Haida zusammengearbeitet hat, traf den Nagel auf den Kopf, als er sagte: »Dieser Baum war viel mehr als ein Baum.« Botanisch gesehen war die goldene Fichte eine Mutation – ein freak der Natur, wie Hadwin es ausdrück te –, aber sie war auch die Spitze eines mythischen Eisbergs und daher ein Mikrokosmos der Inseln. Unter den Haida gibt es manche, die vom Yakoun als »Fluss des Lebens« sprechen, und so wie die Inseln die Lebenskraft in kon zentrierter Form zu verkörpern scheinen, entsprach die goldene Fichte der Quintessenz des Yakoun. In dieser Hinsicht hat sie viel mit der weitverbreiteten Vorstellung vom Baum des Lebens gemein. Dieses uralte Leitmotiv findet sich überall auf der Welt – in Tempeln auf Sri Lanka, auf orientalischen Teppichen, auf Keramiken des Mittleren Ostens und Mittelamerikas, in der Bibel und sogar auf Brückenpfeilern in Südkalifornien sowie an zahllosen weiteren Orten und in diversen Kommunikationsmitteln. Der Baum des Lebens ist ein Symbol der Fülle, aber er verkörpert einen metaphysischen Mittelpunkt, um den sich Leben und Tod, Gut und Böse, Mensch und Natur in endlosem Kreislauf bewegen.
Spuren der uralten Riten, die sich um Bäume ranken, lassen sich noch immer in vielen Teilen der Welt finden, so in Europa, Afrika, Indien und dem Fernen Osten. Manche, zum Beispiel der Tanz um den Maibaum, der Weihnachtsbaum und der Julklotz, haben die Reise in die Neue Welt überlebt. Aber die Trauerfeier für die goldene Fichte könnte durchaus die erste Zeremonie dieser Art gewesen sein, die in Nordamerika abgehalten wurde. Wahrscheinlich hatte man nichts Vergleichbares auf der nördlichen Hemisphäre gesehen, seit vorchristliche Stämme in ihren heiligen Hainen Kulthandlungen vollzogen hatten, in denselben Hainen, die von einfallenden christlichen Armeen und Regierungen vernichtet wurden – und das nicht nur wegen des Holzes, das zu erbeuten war, sondern auch wegen der heidnischen Weltanschauungen, die sie reprä sentierten.
Wenn man weit genug zurückschaut, wird deutlich, dass so gut wie jeder zu dieser oder jener Zeit die Erfahrung der Haida hat machen müssen. »Noch jetzt«, schrieb Plinius der Ältere im ersten
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