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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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den ansteigenden Meeresspiegel zu einer isolierten Insel am Rande des Archipels wurde. Hier kommt der dreifleckige Ornithoptera ins Spiel. Es wird Wallace’ Credo werden, dass sich das Auftreten heutiger Arten überhaupt nur verstehen lässt, wenn man neben den gegenwärtig wirkenden Faktoren – wie etwa Feinde, Nahrung und anderes in der Umwelt der Tiere – auch die geologische Geschichte ihrer Lebensräume mit einbezieht. So liefert ein Blick auf die Geologie und Geschichte einer Region wichtigere Hinweise als allein die gegenwärtigen ökologischen Verhältnisse. In jedem Fall lassen sich aus den geographischen Fakten Rückschlüsse auf historische Vorgänge ziehen und umgekehrt.
    Das fehlende Teil des Puzzles: Am Ende des Archipels angekommen hat Wallace beinahe sämtliche Teile des Puzzles zusammengesetzt. Allerdings liefert die geographische Verbreitung allein noch keinen Aufschluss darüber, wie diese Verwandlung der Arten abläuft und wie sich neue Arten entwickeln. Wallace sieht zwar, dass bestehende Arten durch einen bestimmten natürlichen Ablauf und die Weitergabe ihrer Eigenschaften neue hervorbringen und dass dabei das jeweilige geographische Vorkommen eine Rolle spielt. Aber eine Frage, das letzte Teilchen in dem großen Puzzle, wird ihn auf seiner weiteren Reise durch die Inselwelt noch unablässig beschäftigen: Warum setzen sich unter den vielen lokalen Variationen und Varianten, Modifikationen und Abwandlungen nur jeweils einige an einem bestimmten Ort durch? Die Natur hat in dem inselreichen Archipel mit den immer wieder anderen Formen ihr ganzes Füllhorn ausgeschüttet. Diese Vielfalt und Fülle bereitet seit Jahren nun schon die Jagdgründe für Wallace. Doch wer oder was entscheidet darüber, welche Variation und Volte wo zum Zuge kommt? Offenbar haben doch nicht alle überall die gleiche Chance, sonst gäbe es nicht den Ornithoptera priamus nur auf Ambon und den poseidon auf Neuguinea, aber eben nicht auf Aru.
    Darwin studiert solche Varianten und Veränderungen just zur gleichen Zeit bei Haustieren, vom Huhn bis zum Hund, bei Tauben, Pferden, Ochsen und Orchideen. Für ihn werden Garten, Stall und Gewächshaus zum Laboratorium, die Landwirtschaft zur Analogie. Was Darwin als Züchter lernt, beobachtet der Sammler Wallace derweil anhand zahlloser Varietäten im Inventar seiner Fänge. Statt in einer englischen Grafschaft macht Wallace seine Beobachtungen in einem fernen Archipel. Für ihn werden Inseln wie Aru und Ambon zum Natur-Laboratorium, in dem er der Entwicklung von Arten beinahe wie unter einem Brennglas zusehen kann.
    Bei seiner Rückkehr von Aru nach Makassar im Juli 1857 hat er nicht nur eine reiche Beute an naturkundlichen Objekten im Gepäck, sondern auch Stoff für eine seiner wichtigen Abhandlungen. In den folgenden Wochen verfasst er das Manuskript zu »On the natural history of the Aru Islands«, das im Dezember des gleichen Jahres in den »Annals and Magazine of Natural History« publiziert wird. Es ist dies die erste Analyse einer tatsächlich historischen Biogeographie, in der Wallace das Vorkommen und die Verbreitung der Tiere vollständig auf die Wirkung jener natürlichen Prozesse stützt, die sowohl für die geologischen Vorgänge wie für die Abwandlung der Lebewesen verantwortlich sind.
    Mag die Reaktion auf diese Aru-Arbeit – einen der in seiner Bedeutung am meisten verkannten Aufsätze Wallace’ – damals und lange danach eher verhalten und für ihn auch enttäuschend sein; von Aru ist es jetzt tatsächlich nur noch ein kleiner Schritt. Was Alfred Russel Wallace sucht, ist die eigentliche Ursache für den Artenwandel; jener Mechanismus, mit dem die Entwicklung von Arten erst tatsächlich verständlich wird.

Ternate –
Das Manuskript
    (Juli 1857 – Juni 1858)
    Seit Stunden schütteln Fieberanfälle den hageren Mann auf seiner Holzpritsche. Um ihn herum, in der mit Palmenblättern gedeckten Hütte, stapeln sich die Utensilien und Früchte seiner Arbeit. Überall liegen kleine Holzkästchen und aus Fasern von Palmblättern geflochtene Behältnisse; darin Hunderte auf Nadeln gespießte Insekten. Zumeist sind es Käfer und Schmetterlinge, die kleine blaue Notizzettel mit Namen und Fundort tragen. Felle und Skelettknochen kleinerer Säugetiere liegen auf einem grob gezimmerten Bord. Vogelbälge hängen zum Trocknen an Stricken von den Dachstreben, halbwegs in Sicherheit vor der Armada allgegenwärtiger Ameisen. Leichter Modergeruch durchzieht die enge

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