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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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understatement, wenn Darwin seinen eigenen Beitrag als nicht zur Publikation bestimmt einschätzt, wie er später in einer Fußnote der gedruckten Fassung hinzusetzen wird. Und tatsächlich ist sein Beitrag auch kaum geeignet, sofort jedermann von der neuen Idee zu überzeugen. Wer damals wie heute Darwins historischen Aufsatz von 1858 liest, muss schon sehr genau wissen, was sich dort verbirgt, um überhaupt die Implikationen zu verstehen.
    Die Sitzung beginnt und gleich als Erstes kommt man zu den Beiträgen von Charles Darwin und jenem Alfred Russel Wallace, der in den gelehrten Kreisen Londons noch weit weniger bekannt ist. Einer unter den etwa dreißig Anwesenden, Samuel Stevens, horcht verwundert auf, als Charles Lyell und Joseph Hooker jetzt einleitend die recht ungewöhnlichen Umstände dieser Doppelpräsentation von Wallace und Darwin erläutern. Wieso hat Wallace dieses Manuskript nicht an ihn, Stevens, geschickt? Nachdem Darwin seit geraumer Zeit – genau genommen sind es Jahrzehnte – an einer Theorie über die Natur von Arten arbeitete, sei vollkommen unabhängig von ihm auch Alfred Wallace auf eine natürliche Erklärung gekommen, die Bildung von Varietäten und das Fortbestehen von Arten durch einen Prozess natürlicher Auslese betreffend. Wallace habe dazu ein Manuskript verfasst, aus dem sich jene Theorie ergäbe, die zuvor bereits Darwin entwickelt hat. So hätten Lyell und Hooker, als sie Kenntnis davon bekamen, beschlossen, dass man nun umgehend Wallace’ Manuskript gemeinsam mit einigen Manuskriptauszügen und Briefexzerpten Darwins den anwesenden Mitgliedern der Linnean Society vortragen sollte. Dann verliest der Sekretär der Gesellschaft, wie es dort üblich ist, die genannten Arbeiten. Arrangiert in alphabetischer Reihenfolge, aber mit dem Hintergedanken, dadurch auch gleich die Chronologie ihrer Entstehung anzuzeigen, wird zuerst ein Auszug aus dem Essay von Charles Darwin verlesen.
    »Die gesamte Natur liegt im Krieg«, verkündet Darwin gleich im ersten Satz, »ein Organismus kämpft mit dem anderen oder mit den äußeren Naturbedingungen.« Beinahe wortwörtlich ist es jene Formulierung, mit der auch Wallace den zweiten Abschnitt in seinem Manuskript einleitet. Malthus lässt grüßen. Dann erhebt Darwin die ungeheuerliche Behauptung, nicht ein liebender Gott, sondern ebenjener Kampf aller gegen alle walte in der Natur. Dieser ständige Kampf ums Dasein sei auch für die Entstehung neuer Arten verantwortlich. Denn, so Darwin, Arten wandeln sich und es überleben nur jene, die am besten angepasst seien. Ähnlich wie bei der Wahl des Züchters herrsche auch in der Natur eine Auslese; dank der natürlichen Zuchtwahl seien es kleinste Unterschiede, die darüber bestimmten, wer überleben wird und wer untergeht. Dank sich ständig verändernder natürlicher Bedingungen hätten stets jene Variationen die größte Chance zu überleben, die am besten an die jeweils vorherrschenden Bedingungen angepasst seien.
    Auf diese Auszüge aus dem Essay folgt eine Abschrift aus einem Brief, den Darwin Anfang September 1857 an den Botaniker Asa Gray im amerikanischen Boston schrieb. Dieser Brief belegt, dass Darwins Ansichten zur Entstehung von Varietäten und Arten durch den natürlichen Prozess der natürlichen Auslese bereits formuliert sind, noch bevor Wallace an die Abfassung seines Manuskripts geht. Uns zeigt dies heute zweierlei: zum einen, dass Darwin die Kerngedanken seit der ersten Essayfassung über viele Jahre unverändert gelassen hat; zum anderen, dass aber auch neue Aspekte hinzugekommen sind, an denen Darwin insbesondere in den beiden vergangenen Jahren gearbeitet hat, seit er Wallace’ Sarawak-Arbeit kennt. Kleinste Variationen in allen Merkmalen und Eigenschaften der Lebewesen seien ebenso wichtig wie beinahe unendliche Zeiträume, um derartige Abwandlungen hervorzubringen. Denn die Natur mache keine Sprünge; vielmehr verlaufe alles allmählich und graduell ab. Vieles, so schreibt Darwin erklärend an Asa Gray, könne er in der kurzen Skizze nicht besser erläutern; vieles müsse dieser mit seiner eigenen Vorstellung füllen. Doch die »Natural Selection«, so auch der Titel seines jetzt entstehenden ausführlichen Werkes, sei überall in der Natur wirksam, so Darwin weiter. Die Auslese sorge auch dafür, dass immer wieder neue Arten entstünden. Denn Arten wandelten und lösten sich ab, ähnlich wie ein Baum immer weiter wächst und oben neues Grün entwickelt, während unten tote

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