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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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kontrovers diskutierte medizinische Maßnahmen und Eingriffe, darunter etwa Eugenik und Vivisektion. Dabei wird Wallace oft missverstanden, gerade auch sein Widerstand gegen die Schutzimpfung. Hier legt er sogar eine erste epidemiologische Studie dieser Art vor. Und es wird übersehen, dass er sich nicht gegen die Impfung an sich wendet, sondern gegen die Art und Weise ihrer Durchführung. In jedem Fall bietet Wallace seinen Kritikern genug Argumente, ihn als Sonderling, Störenfried und Querkopf abzutun. Dass er sich als Wissenschaftler politisch exponiert, macht es keineswegs besser.
    Was wir von »unzivilisierten« Völkern lernen können: Wallace wird von den 1880er-Jahren an keine wirklich nennenswerten neuen naturwissenschaftlichen Beiträge mehr verfassen. Nachdem er bis dahin ein bekennender Darwinist ist, weisen ihn seine Schriften in späteren Jahren als einen Sozialisten und Pazifisten aus, den nun vor allem sozialphilosophische Fragen umtreiben. Anders als Darwin, der sich in solchen Dingen stets sehr zurückgehalten hat, mischt sich Wallace aktiv in das politische Geschehen seiner Zeit ein. Die Wurzeln seines Engagements finden sich in den Erfahrungen, die er als jugendlicher Landvermesser im England der 1830er- und 1840er-Jahre gemacht hat.
    Das erste publizierte Bekenntnis in diesem Zusammenhang findet sich überraschenderweise im finalen Kapitel seines Reiseberichts über den »Malayischen Archipel«. Hier nutzt er 1869 seine abschließende Diskussion der Naturvölker dieser Region für eine Breitseite gegen die ökonomische Ausbeutung der Massen im viktorianischen Zeitalter seiner Heimat. Es ist tatsächlich eine kuriose Fußnote, die aber immerhin kleingedruckt die gesamte letzte Seite seines eigentlichen Reiseberichts einnimmt (danach folgt nur noch ein Anhang über Schädel und Sprache der im Archipel einheimischen Völker) und in der Wallace schreibt: »Diejenigen, welche meinen, dass unsere sozialen Zustände sich der Vollkommenheit nähern, werden meine Worte hart und übertrieben finden; aber es scheint mir doch das einzige Wort zu sein, welches in Wahrheit auf uns seine Anwendung finden kann. Wir (die Engländer) sind das reichste Volk der Erde und doch sind ein Zwanzigstel unserer Bevölkerung Gemeindearme und ein Dreißigstel überführte Verbrecher. Wenn man zu diesen die Verbrecher zählt, welche der Entdeckung entgehen, und die Armen, welche nur von der Privatwohltätigkeit leben (die in London allein sieben Millionen Pfund jährlich hergibt), so können wir sicher sein, dass mehr als ein Zehntel unserer Bevölkerung tatsächlich Arme und Verbrecher sind. Diese beiden Klassen erhalten wir im Nichtstun und in unproduktiver Arbeit, und jeder Verbrecher kostet uns jährlich in unseren Gefängnissen mehr als der Lohn eines ehrlichen Landarbeiters.«
    Wallace zählt bei dieser Gelegenheit – und wie gesagt: es handelt sich hier immer noch um eine Fußnote seines Reiseberichts – weitere Missstände und schreiende Ungerechtigkeiten auf, um dann zu schließen: Dass nur einige wenige Macht haben und diese auch ausüben, zeige an, dass sich »unser System der Regierung, der administrativen Justiz, der Nationalerziehung und unsere ganze soziale und moralische Organisation in einem Zustand der Barbarei« befinde. Wallace klagt an, dass die Lebensverhältnisse und das Elend größer seien als vorher, dass die Armeen der Armen im Angesicht des Reichtums und Luxus einiger weniger zu leiden hätten. »Wir sollten nun klar die Tatsache erkennen, dass der Reichtum und das Wissen und die Kultur der wenigen keine Zivilisation ausmachen und uns nicht von selbst dem ›vollkommenen sozialen Zustand‹ näher bringen. Unser ungeheures Manufaktursystem, unser riesiger Handel, unsere überfüllten Städte und Ortschaften unterhalten und erneuern beständig eine Masse menschlichen Elends und Verbrechens, die absolut größer ist als jede, die jemals vorher existierte.« Bezeichnend ist, dass Wallace dies einschiebt, wo es doch um die Beschreibung der Einheimischen und ihrer Art der Lebensumstände im Malayischen Archipel geht. »Dieses ist die Lehre«, so schließt Wallace vielsagend, »welche ich aus meinen Beobachtungen des unzivilisierten Menschen gezogen habe.«
    Mag dieser Teil des Buches in bestimmten Kreisen damals auch auf wenig Beifall gestoßen sein, bei anderen findet ausgerechnet diese Passage umso lebhafteres Interesse. So ist Wallace’ Archipel-Buch auch der Beginn seiner politischen Karriere.

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