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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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empfänglich machten; zu einer Zeit – um einen Vergleich zu geben – als etwa Charles Darwin sich auf seinem Landbesitz in Down House von knapp 1200 Hektar einzurichten begann.
    Die von Wallace unterstützte Landreform sollte den Staat allmählich zum Eigentümer machen, der das Land an Bauernfamilien als unkündbares Lehen geben sollte. Auch andere wie etwa Herbert Spencer engagierten sich für diese Reformen. In seinem Buch »Social Statics« forderte Spencer bereits 1851, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Grund und Boden haben sollte. Wie er will nun auch Wallace das Land gerechter verteilen, damit wieder ein gesunder Bauernstand erwachsen kann, was – so Wallace’ Hoffnung – zur Lösung auch vieler anderer drängender sozialer Fragen seiner Zeit beitragen sollte. Er empört sich vor allem über die gleich doppelt ungerechte Verteilung des Besitzes, weil einerseits die Masse des Volkes beinahe wie Sklaven lebt, während andererseits eine kleinere Schicht an Menschen ein sorgenfreies Leben hat. Dadurch aber hätten auch nur wenige ein Vorrecht auf Teilhabe an den geistigen Gütern der Menschheit, so Wallace. Im reichen und zivilisierten England, kritisiert er, halte man eine übergroße Anzahl von Menschen durch schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeit nicht nur materiell im Elend. Man nähme diesen auch jede Möglichkeit, teilzunehmen an den Gütern, die den Menschen erst eigentlich vom Tier unterscheiden, nämlich an der geistigen Kultur des Volkes.
    So lange Wallace’ Engagement in Sachen Landreform anhält, so wenig erfolgreich ist die Kampagne – und Wallace kein geborener Politiker. Zumindest gelingt es ihm und seiner Bewegung nicht, sich gegen die der Idee entgegenstehenden Meinungen durchzusetzen. England ist Kolonialmacht, so denkt die Mehrheit, und brauche keinen Bauernstand. Vor allem aber ist das Ziel der Landreformer nicht mit den regierenden Schichten erreichbar; kaum anzunehmen, dass diese freiwillig ihre Vorrechte aufgeben würden. Hilfe erhofft sich Wallace daher von einer aufstrebenden Arbeiterpartei. So wird der fast Siebzigjährige englischer Sozialist. Deren Besonderheit auf der Insel sind, anders als auf dem Kontinent, nicht in erster Linie der Klassenkampf und die Forderung nach allgemeiner Gleichheit, getreu dem Motto: Der Staat ist alles, der Einzelne nichts. In England wollen die Sozialisten vielmehr, dass jeder Einzelne sich individuell entfalten kann. »Der Individualismus ist die wesentliche Vorbereitung eines wirklichen sozialen Fortschritts.« Wallace weiß, dass Menschen von Geburt an verschieden sind, daher werden auch soziale Unterschiede bestehen bleiben; doch sollte, so meint er, einem jeden seinen Anlagen gemäß ein glückliches Leben möglich sein.
    Wallace’ Vorstellungen vom Ideal der Vernunft, von staatlicher Gerechtigkeit und einer Gesellschaft der Zukunft gehen noch weiter. Vieles davon liest sich äußerst visionär und erweist ihn einmal mehr als weit seiner Zeit voraus. In einem allerdings irrt er: Wallace glaubt an die baldige Verwirklichung vieler seiner Utopien. Nach Jahrzehnten, nämlich kurz vor seinem Tod, muss er dann allerdings in dem Buch »The Revolt of Democracy« von 1913 etwas ganz Ähnliches beschreiben wie bereits zuvor in seinem Reisebericht 1869: »Wir haben eine begrenzte obere Klasse geschaffen, die im beispiellosen Luxus lebt, während ungefähr ein Viertel unserer gesamten Bevölkerung in einem Zustand unbestimmten Mangels lebt und oftmals unter die ›Grenze der Armut‹ sinkt. Von diesen werden viele Tausend jährlich in den Abgrund völliger Not gezogen und sterben entweder direkt an Hunger oder an Krankheiten, die durch ihre Beschäftigung hervorgebracht sind.«
    Wallace ist ein Schwärmer, das hat er sogar selbst nie bestritten; immer schon einer noch dazu mit einem eigenen Kopf, mit dem Selbstbewusstsein des Andersseins und Andersdenkens; jemand, der dazu steht und weiß, dass er die Welt mit eigenen Augen sieht. Bereits aus dem Archipel hat er sich einst in einem Brief an seinen Schwager dazu bekannt. Er sei stolz darauf, ein Schwärmer zu sein, schreibt er ihm, als der ihn ermahnt, endlich nach Hause zu kommen (da seine Familie um seine Gesundheit und sein Leben fürchtet): »Es ist für mich eine Ehre und Auszeichnung, so genannt zu werden. Wer hat je etwas Großartiges oder Gutes vollbracht, ohne ein Schwärmer zu sein? Die meisten Menschen können sich nur dafür begeistern, wie sie am besten und schnellsten reich wer den.

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