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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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eine Minute lang wurde das Schweigen zwischen ihnen begleitet von einer vollkommenen Stille, die das ganze Haus erfüllte und in der sie beide nichts anderes hörten als den eigenen Atem.
    Dann begannen wieder irgendwo Menschen zu reden, jemand lachte, ein Hund bellte. Das Gefühl, allein zu sein auf der Welt, löste sich auf.
    Jessica hatte den Eindruck, daß sie etwas sagen mußte.
    »Leon, kann es nicht sein, du überstürzt die Dinge? Du hast
einen neuen Arbeitsplatz, du hast eine neue Wohnung … und nun meinst du, du mußt auch ganz schnell eine neue Partnerin haben. Aber es sind gerade erst vier Wochen vergangen, seit … nun, seit das Schreckliche passiert ist. Du meinst jetzt, ich sei geeignet für dich, aber das ist vielleicht nur deshalb so, weil gerade niemand anderer da ist und du auch gar nicht in der Lage wärst, jemand anderen zu sehen. Aber …«
    »Nein«, unterbrach er sie, »so einfach ist es nicht. Auch als Patricia noch lebte, konnte ich dich nicht anschauen, ohne mir vorzustellen, wie …« Er zögerte.
    Sag es nicht, dachte sie, sag es bitte nicht!
    »Ich konnte dich nicht anschauen, ohne mir vorzustellen, wie es sein müßte, dich zu berühren. Dich in den Armen zu halten. Dich zu küssen.« Er hob entschuldigend beide Hände. » So, jetzt weißt du es. Patricia und Alexander mußten nicht sterben, um in mir diese Gefühle zu wecken.«
    Angestrengt versuchte Jessica, ihre Fassungslosigkeit unter Kontrolle zu bekommen.
    »Aber … davon habe ich ja nie etwas bemerkt«, sagte sie schließlich und dachte gleichzeitig: Welch ein dummer Kommentar! Das wollte ich doch gar nicht sagen!
    »Ich habe mir auch alle Mühe gegeben, daß du nichts merkst«, erwiderte Leon, »schließlich sprach nichts in unserer Situation dafür, daß meine Wünsche in Erfüllung gehen könnten. Ich war verheiratet, du warst verheiratet. Dein Mann war noch dazu einer meiner besten Freunde. Ihr beide wart noch nicht lange zusammen, ihr schient glücklich. Selbst wenn ich mich hätte scheiden lassen - wie hätte ich hoffen können, daß du das gleiche tätest? Wie hätte ich auf irgend etwas hoffen können?«
    »Du warst sehr unglücklich mit Patricia, oder?«
    »Das habe ich dir ja erzählt.«
    »Ja, aber … ich dachte nicht, daß …«
    »Ich habe das Leben mit ihr gehaßt«, sagte Leon, und es klang fast gleichmütig, so als schildere er einen ganz alltäglichen Zustand.
»Ich habe jede Minute gehaßt. Ich glaube, ich habe sie selbst gehaßt. Aber da waren die Kinder, der Alltag. Ein Ausbrechen schien einfach nicht möglich. Irgendwie arrangierten wir uns, irgendwie ging es immer weiter. Ich sagte mir, daß die meisten Menschen um mich herum auch keine glücklichen Ehen führten. Ich mußte ja nur meine engsten Freunde ansehen. Tim und Evelin - das war ein einziges Desaster. Bei Alexander und Elena konnte man schon am Anfang das Ende absehen. Patricia und ich murksten eben auch so herum. Irgendwie war das halt normal.«
    »Ich verstehe«, sagte Jessica. Sie hätte ihn gern gebeten, sie vorbeizulassen, weil sie gehen wollte, aber aus irgendeinem Grund brachte sie es nicht fertig.
    »Und dann tauchtest du an Alexanders Seite auf. Eine Frau, ganz anders als die anderen. Nicht depressiv und neurotisch wie Evelin. Nicht perfektionistisch und herrschsüchtig wie Patricia. Nicht mondän und unberechenbar wie Elena. Sondern einfach … ja, mit beiden Beinen auf der Erde stehend. Geradlinig. Du erschienst mir als ein ungeheuer aufrichtiger, warmherziger Mensch, ehrlich und offen. Dabei auch sehr eigenständig, sehr unabhängig. Ich dachte: Alexander hat’s geschafft. Er hat die Frau gefunden, mit der er durchs Leben gehen kann. Was für ein Glückspilz er doch ist!« Leon schwieg einen Moment. »Mit der Frau, dachte ich, könnte ich es auch schaffen«, sagte er.
    »Was schaffen?« fragte Jessica.
    Ich sollte das gar nicht fragen. Ich sollte zusehen, daß ich dieses Gespräch beende.
    »Das Leben«, sagte Leon, »ich dachte, mit einer Frau wie dir könnte ich das Leben schaffen. Den Neuanfang. Den Beruf. Die Familie. Eben alles.«
    »Leon, möglicherweise idealisierst du …«
    »Außerdem finde ich dich sehr attraktiv. Sehr anziehend. Ich konnte dir in Stanbury kaum am Tisch gegenübersitzen, ohne …« Er sah sie an, schien auf ein Entgegenkommen zu warten, aber Jessica blieb stumm, senkte den Blick.

    »… ohne daran zu denken, wie es sein müßte, mit dir zu schlafen«, vollendete er leise seinen Satz.
    »O Gott«,

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