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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nicht in diesen Alptraum geraten wäre.
    Sie ging weiter, doch als sie hinter sich Schritte hörte, die rasch näher kamen, wußte sie, daß sie verloren hatte.
    15
    »Aber du hättest doch etwas sagen können«, meinte Evelin. »Wir wollten doch zusammen ins Dorf fahren. Warum läufst du einfach weg?«
    »Ach, du weißt doch, wie ich bin«, erwiderte Jessica leichthin.
»Mich hat mal wieder die Lust zu laufen gepackt. Und ich dachte, wenn ich dir etwas sage, fühlst du dich gedrängelt. Also bin ich losgezogen.«
    Sie gingen langsam zum Haus zurück. Die Sonne wurde nun am Mittag noch heißer. Jessica strich sich erneut über die Stirn. Sie war naß am ganzen Körper.
    Evelin betrachtete sie von der Seite. »Du siehst gar nicht gut aus«, stellte sie fest, »fühlst du dich nicht wohl?«
    »Es ist sehr warm, findest du nicht? Fast wie im Juli oder August. «
    »Mir macht das nicht soviel aus«, sagte Evelin.
    »Ich bin heute schon soviel gelaufen«, sagte Jessica, »wahrscheinlich liegt es daran.«
    »Ein Grund mehr, daß du unbedingt mit mir ins Dorf fahren solltest!« Evelin klang aufrichtig besorgt. Jessica fragte sich, ob sie tatsächlich neben einer gefährlichen Geisteskranken herlief. Natürlich konnte Wilbert sich irren. Beweise für seine Theorie hatte er mit Sicherheit nicht. »Paß auf, du wartest hier. Ich gehe nur rasch hoch und hole meine Tasche, ja?«
    »Alles klar«, antwortete Jessica. Sie war neben dem Trog stehengeblieben, vor dem damals Patricia gekniet hatte und … Ihr wurde übel, rasch verdrängte sie die Erinnerung.
    Evelin wollte zum Haus, hielt aber noch einmal inne.
    »Die Aufzeichnungen«, sagte sie zögernd, »hast du sie gelesen? «
    Jessica nickte. »Ja. Und ich muß sagen, daß Tim uns alle mit dem Gerede von seiner großartigen Promotion gewaltig an der Nase herumgeführt hat. Das sind einfach nur ein paar Charakterstudien, die ein völlig verrückter Narziß über andere Menschen anstellt, um sich vor allen Dingen selbst dabei zu bespiegeln. Ich würde das alles als eine Art Selbstbefriedigung bezeichnen, nichts weiter.«
    Evelin wartete, aber da Jessica nichts mehr hinzufügte, nickte sie ebenfalls, sehr langsam und nachdenklich, und ging dann davon.
Sie ließ die Tür offenstehen, als sie in der Dunkelheit der Halle verschwand.
    Jessica preßte ihre feuchten Handflächen aneinander. Einen zweiten Versuch, sich wegzustehlen, wollte sie nicht wagen. Evelin konnte in einer Minute wieder unten sein. Sie hatte harmlos gewirkt, freundschaftlich. Vielleicht war alles in Ordnung. Sie würden in das Auto steigen, und knapp zehn Minuten später wären sie im Dorf.
    Der Alptraum hätte ein Ende.
    Sie ging ein paar Schritte auf und ab, ignorierte nach wie vor beharrlich den Holztrog, versuchte, sich zu beruhigen, sich einzureden, daß es keinerlei Gefahr gab. Aber alle Härchen an ihren Armen hatten sich aufgestellt, und sie fror plötzlich im Nacken, trotz der Sonne. Sie hatte Dr. Wilberts beschwörende Stimme im Ohr.
    Verschwinden Sie, so schnell Sie können!
    Erschöpft sank sie auf die Bank, die an der Grenze zwischen dem gepflasterten Hof und dem Garten stand und von der man einen schönen Blick zum Wald und zu den sich dahinter erhebenden Hügeln hatte. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Wenn es erst strampelte da drin! Wie großartig mußte es sein, die erste Bewegung zu fühlen.
    Sie beugte sich hinunter, massierte ihre geschwollenen Fußknöchel. Ihr Blick fiel auf das Gras zu ihren Füßen. Sie stutzte, kniff die Augen zusammen.
    Eine Kette lag dort. Eine Graskette. Aus frischen Grashalmen, vor nicht allzu langer Zeit aus der Erde gerissen. Keinesfalls vier Wochen zuvor.
    Sie kannte nur einen, der geradezu stereotyp diese Ketten flocht. Wo er saß und stand - und wo Gras wuchs.
    Sie fuhr hoch, blickte sich hastig um. Nichts regte oder bewegte sich.
    Er war hier gewesen. Vor ein paar Stunden, höchstens.
    Vielleicht war er immer noch hier.

    Vielleicht war er der Feind. Vielleicht konnte sie dies zumindest Evelin einreden. Wenn Evelin sich sicher fühlte, war sie weniger gefährlich.
    Vielleicht.
     
    Mit kurzen Unterbrechungen kauerte er jetzt seit zwei Stunden in diesem düsteren Loch von Kellereingang, und allmählich verfluchte er sich, daß er so dumm gewesen war, sich nicht gleich offen zu zeigen. Wenn er jetzt plötzlich hervortrat, mußte es den Eindruck vermitteln, er sei eine Art Sittenstrolch, der sich plötzlich aus den Büschen schlug - was seine Lage nur

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