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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Grund als besonders glatt und
schlüpfrig, weil sie von Algenschichten überzogen waren. Sie kam nur sehr langsam voran. Den Hund konnte sie jetzt deutlich erkennen. Er war noch ein Welpe und schien bereits zu Tode erschöpft. Immer wieder geriet sein Kopf unter Wasser; prustend und wimmernd tauchte er dann wieder auf. Er war in Panik und verbrauchte seine letzten Kräfte mit sinnlosem Strampeln und Kämpfen.
    Sie redete beruhigend auf ihn ein, während sie sich ihm näherte. »Halt ganz still! Ich bin gleich bei dir. Keine Angst, dir kann nichts mehr passieren!«
    Sie kam nervenaufreibend langsam voran, aber endlich hatte sie die Stelle erreicht. Sie nahm ihre Regenjacke, die sie noch immer um die Hüften gebunden trug, wickelte sie um beide Hände und griff damit dem Hund unter den Bauch. Er wehrte sich wie verrückt, aber mit einem kräftigen Ruck zog sie ihn in die Höhe. Er jaulte kurz, als die Wasserpflanzen, die sich um seine Hinterbeine geschlungen hatten, tief in seine Haut einschnitten, ehe sie rissen und ihn freigaben. Nun wand er sich wie ein Gummitier, das keinen Knochen im Leib zu haben schien. Durch ihren Beruf war es Jessica zwar vertraut, Tiere festzuhalten, die sich gegen sie wehrten, nur hatte sie dabei für gewöhnlich festen Boden unter den Füßen. Sie hatte keine Ahnung, was es für das Baby in ihrem Körper bedeuten konnte, wenn sie der Länge nach in den eiskalten Bach fiel, und sie mochte auch lieber nicht darüber nachdenken. Sie versuchte krampfhaft, das Gleichgewicht zu wahren, und hatte keine Ahnung, wie es ihr gelingen sollte, zum Ufer zurückzukehren, da fühlte sie plötzlich den kräftigen Druck einer Hand an ihrem Arm, und jemand sagte: »Ich habe Sie! Keine Angst. Halten Sie einfach dieses zappelnde Bündel fest, und kehren Sie um. Ich begleite Sie.«
    Sie drehte sich um und sah den Mann, der direkt hinter ihr stand. Wie sie hatte auch er seine Schuhe nicht ausgezogen. Im lauten Rauschen des Baches hatte sie sein Kommen nicht bemerkt. Später überlegte sie, daß es sich bei ihm vermutlich um
den einsamen Wanderer handelte, den sie zuvor in einiger Entfernung gesehen hatte.
    Schritt um Schritt näherten sie sich dem Ufer. Gestützt von dem Fremden, gelang es Jessica, den kleinen Hund fest im Griff zu behalten. Zudem gab er von einem Moment zum anderen jede Gegenwehr auf, fiel plötzlich in völlige Apathie und hing wie ein regloser Sack in ihren Armen.
    Mit Hilfe des Fremden erklomm Jessica die Uferböschung und merkte oben angekommen erst, wie sehr sie dieses Abenteuer erschöpft hatte. Sie legte den Hund ins Gras, wo er sofort einschlief, und ließ sich daneben zu Boden sinken.
    »Lieber Gott«, sagte sie müde, »das war knapp. Er wäre mir aus den Händen gerutscht, wenn Sie nicht gekommen wären.«
    Der Fremde setzte sich neben sie und machte sich daran, seine tropfnassen Schuhe auszuziehen.
    »Ich glaube, die kann ich wegwerfen«, meinte er trübsinnig. »Wildleder … sie sehen ziemlich mitgenommen aus, was?«
    »Zum Wandern taugen sie vielleicht noch«, sagte Jessica. Sie schälte sich aus ihren Schuhen, streifte die Strümpfe ab, wrang sie aus. »Ich hätte nie gedacht, daß das Wasser so kalt ist.«
    »Strecken Sie Ihre Füße in die Sonne. Sonst erkälten Sie sich am Ende noch. Was macht denn der kleine Hund?«
    Jessica blickte neben sich auf das tief schlafende, nasse Bündel. »Ich glaube, der ist nur völlig k.o. Aber ich schaue ihn mir nachher genauer an. Vielleicht ist er ja doch irgendwo verletzt.«
    »Sie scheinen etwas von Tieren zu verstehen. Sie haben sehr beherzt zugegriffen.«
    Jessica lachte. »Alles andere wäre auch ein Armutszeugnis. Ich bin Tierärztin.«
    »Sie sind keine Engländerin«, stellte er fest, »Sie sprechen sehr gut englisch, aber da ist ein Akzent ...«
    »Ich bin Deutsche. Ich bin nur in den Ferien hier.«
    Sie hatte den Eindruck, daß er sie plötzlich mit gesteigertem Interesse anblickte. Sein Rücken spannte sich fast unmerklich,
und seine Augen wurden für einen Moment schmal. »Deutsche? Gehören Sie zu den Leuten, die in Stanbury House wohnen?«
    »Ja. Warum?« »Hat mich nur interessiert. Mein Name ist übrigens Phillip Bowen. Ich mache auch nur Ferien hier. Ich lebe in London.«
    Sie sah ihn an. Er gefiel ihr. Auf eine attraktive Art sah er ein wenig schlampig aus - seine dunklen Haare waren zu lang, seine Wangen nicht wirklich glatt rasiert. Sein dunkelblauer Rollkragenpullover war verfilzt und mußte uralt sein. Jessica hatte

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