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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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seine Stimme. »Entschuldigen Sie, aber ich interessiere mich privat für Kriminalgeschichten.«
    »Der Vale ein Schwirzer?« Sie verneinte bestimmt. »Jeder andere, aber nicht er. Der Vale hätt sich eher die Hand abgehackt, als was Unrechtes zu tun.«
    »Ich meinte nur: Wozu braucht man denn überhaupt Seide auf dem einfachen Land?«
    »Für ein Trachtengewand«, erklärte die Näherin kundig. »Ein ›Röcki‹. Ganz was Schönes. Aber bloß die Besseren können es sich bei uns leisten.«
    »Verzeihung, aber wie kann das zusammenpassen? Die Leute haben kein Geld, und trotzdem liegt teure Seide bei ihnen herum?«
    »Gleich haben wirs«, meinte die junge Frau. Sie zog den Faden aus, verknotete ihn und griff nach der Schere.
    »Haben Sie dafür eine Erklärung?«, hakte Kull nach.
    »Na ja …« Sie schüttelte belustigt den Kopf, als würde ihr erst in diesem Moment die Albernheit ihres Gedankens bewusst, »jetzt gilts ja eigentlich eh nimmer, oder?«
    Kull verstand nicht.
    »Dass ich noch mein Versprechen halten muss, das ich dem Vale gegeben hab«, erläuterte sie. »Er lebt ja nimmer.«
    »Verzeihung. Welches Versprechen?«
    »Na, dass ich zu keinem was davon sag, dass ich ihm ein Röcki für seine Frau machen sollt. Wissens, er wollt ihr damit eine Freud machen. Ich hab ihm gesagt, dass das einen Haufen Geld kostet. Aber er hat gemeint, dass mich das nicht zu kümmern braucht.« Eine leichte Trauer huschte über ihre Augen. »Ihr Maß hab ich der Thekla mit einer Ausred abgeluchst. Auf Weihnachten hätt sie das Röcki kriegen sollen.«
    »Er muss sie wirklich sehr gerne gemocht haben.«
    Sie nickte weh. »Die zwei sind sich gut gewesen. Das hast schon gespürt, wennsd bei der Tür rein bist. Eine Wärm war da, da hast gleich gar kein Ofen mehr gebraucht.«
    »Wenn ich jetzt …« Der Ermittler räusperte sich gehemmt, »… jemandem auf diese Weise eine große Freude machen wollte, gnädige Frau – würde ich Sie eventuell darauf ansprechen können?«
    Sie warf ihm einen wissenden Blick zu.
    »Dafür bin ich ja da.«
    »Woher könnte ich diesen schönen Stoff denn bekommen? Doch nicht hier im Ort?«
    »In der Stadt drin.«
    Kull zog die Stirn in Falten. »Wo die Preise vermutlich ziemlich gesalzen sind.«
    »Könnens laut sagen.«
    »Gäbe es vielleicht auch, wie soll ich sagen, günstigere Gelegenheiten?«
    Die Näherin schnitt den Faden ab und prüfte ihre Arbeit gegen das Tageslicht. Dann sagte sie zögernd: »Vielleicht … Sie könnten einmal mit dem Alois darüber reden.« Eilig fügte sie hinzu: »Aber das habens jetzt nicht von mir gehört, gell?«
    Sie stand auf, reichte ihm die Hose und nannte den Preis. Kull warf einen zufriedenen Blick auf die Naht, zog sich an und reichte ihr einige Münzen. Er verneigte sich leicht.
    »Der Rest ist für Sie, gnädige Frau. Sie haben mir wirklich aus einer großen Verlegenheit geholfen.«
    Von Kulls gespreizter Höflichkeit belustigt, antwortete sie lächelnd: »Gern geschehen, der Herr.« Dann, mit leichter Unruhe, fügte sie hinzu: »Aber jetzt muss ich mich wirklich schicken, sinds mir nicht bös.«
    Sie griff nach einer Handnähmaschine, legte sie auf eine Kraxe und ging ein wenig in die Knie, um in die Gurte schlüpfen zu können. Kull half ihr. Sie dankte ihm mit einem freundlichen Nicken, richtete sich auf, winkte ihre Tochter zu sich und öffnete die Tür.
    »Das Gewand von der Frau Doktor Tobisch muss nämlich bis heut auf die Nacht fertig sein. Sie möcht doch was hermachen, wenn der Herr Doktor morgen seine große Ansprach hat auf dem Gautag.«
    »Verstehe.« Kull ging an ihr vorbei. »Da müssen Sie sich natürlich sputen.«
    Sie verabschiedeten sich. Kull marschierte die Gasse zum Kirchplatz hinauf. Das Mittagsgeläut setzte ein.
    Er passierte das Gemeindeamt. Die Türe des Schulhauses flog auf, ein Schwarm lärmender Kinder strömte ins Freie. An der Pforte des Dorfriedhofs standen einige ältere Männer, die sich leise unterhielten und missbilligende Blicke auf eine Handvoll junger Männer warfen, die, von einem wichtigtuerischen Uniformierten befehligt, neben dem Dorfbrunnen letzte Nägel in ein Holzpodium schlugen. Alois war unter ihnen. Er wirkte mürrisch.
    »Idioten«, grummelte der Ermittler. »Idioten und Proleten.«
    Seine Gedanken waren jedoch bereits woanders.
    Was er gehört und gesehen hatte, bestätigte eine der Vermutungen, die ihm schon zu Beginn seiner Ermittlung in den Sinn gekommen waren.
    Er ging in den Gasthof, packte, beglich die

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