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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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sowohl zur Politik als auch zur Industrie. In Österreich ist er jedenfalls als Repräsentant sowohl einer ›Südosteuropäischen Handelsgesellschaft‹ als auch einer ›Rheinischen Metallwaren- und Maschinenfabrik‹ gemeldet. Was die Beziehung seines Bundes zu den anderen Vaterländischen betrifft, so hält er in jede Richtung gute Kontakte. Er genießt hohes Ansehen, gilt vor allem als energischer Organisator. Einige werfen ihm allerdings auch vor, sein eigenes Süppchen kochen zu wollen.«
    »Wer?«
    »Die Nazis halten ihn ein wenig auf Distanz, hab ich den Eindruck. Fragen Sie mich aber nicht, warum.«
    »Weil sie Konkurrenz wittern«, sagte Kull. »Weiter. Was ist mit diesem Lindenfeld?«
    »Fast unmöglich, das von Berlin aus zu erledigen, Chef. Der Mann stammt aus einer Nebenlinie eines alten Adelsgeschlechts, das aber in sämtlichen Wirtschaftskrisen seit den Siebzigern auf das falsche Pferd gesetzt hat und mittlerweile fast völlig pleite ist. In der Bayerischen Armee hat er es immerhin zum Major der Infanterie gebracht, wobei nichts über irgendwelche glänzenden Taten in Erfahrung zu bringen war. Um nach der Demobilisierung des Heeres nicht völlig auf dem Trockenen zu sitzen, hat er sich den bayerischen Einwohnerwehren angeschlossen, Angehörige seines früheren Bataillons aktiviert und mit ihnen beim Einmarsch im Mai 19 auf München teilgenommen. In diesem Zusammenhang wurden übrigens Ermittlungen wegen der Erschießung eines angeblichen Aufrührers gegen ihn eingeleitet, die aber wieder eingestellt wurden. In dieser Zeit scheint er auch auf rätselhafte Weise wieder zu etwas Kapital gekommen zu sein. Jedenfalls konnte er sich nach der Auflösung der Einwohnerwehren ein nobles Wohnhaus im Münchner Zentrum leisten und firmierte unter anderem als Geschäftsmann in Baumaterial. Mitte der Zwanziger verlor er fast sein ganzes Vermögen nach einer Baisse von Holzaktien, konnte sich danach aber offenbar wieder aufrappeln. Vor ungefähr zwei Jahren jedenfalls hat er eine pleite gegangene Ziegelei bei München gekauft. Ob er damit eine glücklichere Hand als mit seinen früheren Geschäften hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Man hört aber läuten, dass einige süddeutsche Ziegeleien im Moment schwer zu kämpfen haben.«
    »Welches Verhältnis hat er zum Schutzbund?«
    »Er ist dort seit Gründung Mitglied und scheint ein enger Vertrauter von Major Bischoff zu sein, mit dem er sich häufig trifft, meist in München oder in Innsbruck. Über seine Münchner Bankverbindung werden fast alle finanziellen Transaktionen ins Ausland für den ›Schutzbund‹ abgewickelt, wobei vermutlich eine kleine Provision für ihn herausspringt. Je nach Höhe der Summe organisiert er Kurierfahrten oder Flüge nach Österreich. Im Reichsaußenministerium schätzt man ihn als effizienten und verschwiegenen Mittelsmann, tut sich aber mit einer politischen Einordnung insofern etwas schwer, weil es Lindenfeld nicht nur mit Leuten seines Schlages, sondern auch mit anderen politischen Verbänden und sogar mit erklärten Republikanern bestens zu können scheint.« Sie machte eine Pause, um durchzuatmen und, etwas leiser, anzufügen: »Das ist erst mal alles, Chef.«
    Das Mädel ist großartig, dachte er.
    »Was?!«, rief er. »Wofür bezahle ich dich eigentlich?«
    Sie seufzte kaum hörbar. »Stimmt, etwas hab ich vergessen: Er soll für sein Alter noch blendend aussehen, sehr gewandt sein und vor allem hinreißende Umgangsformen haben. Eigentlich fast Ihr Spiegelbild, Chef, finden Sie nicht?«
    Der Ermittler wollte etwas Launiges erwidern, als er hörte, dass sie aufgelegt hatte. Er starrte verdutzt auf die Hörmuschel. Dann zuckte er die Schultern und ging ins Freie.
    Er trat auf den Bahnhofsplatz und blieb stehen, als sei er unschlüssig, welchen Weg er einschlagen sollte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Flügeltüre des Telefonamtes öffnete. Sein Verfolger war ein gedrungener Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Er stutzte unmerklich, blieb auf der Vortreppe stehen und ließ seinen Blick über den nebelverhangenen Platz schweifen, als suche er nach einem Bekannten. Schließlich schlug er seinen Kragen hoch, rückte seinen Hut zurecht, kramte umständlich ein Päckchen aus seiner Manteltasche und zündete sich eine Zigarette an.
    Sie lernen es nie, dachte Kull.
    Der Ermittler setzte sich in Bewegung, ließ einige Autos an sich vorbeirauschen, überquerte die Prielmayerstraße und schlenderte die Schillerstraße hinab. Als

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