Am Ende des Tages
wahr?«
»Wobei es bei der Frage nach dem Tatmotiv wiederum ziemlich mager aussieht.«
Herzberg nickte ernst. »Da haben Sie leider Recht. Raub und versuchte Vergewaltigung scheiden ja aus, persönliche Gründe ebenfalls, da er und die Rotter-Leute sich zuvor nie gesehen hatten. Auch haben Rotter ebenso wie die Köller damals ausgeführt, dass Fürst auf sie einen anständigen Eindruck gemacht und mit dem späteren Opfer nur einige Worte gewechselt hat. Trotzdem sollten wir uns fragen, wie sich die Lage darstellen würde, wenn diese Köller sich geirrt oder gar gelogen hätte und er es gewesen wäre, der von den Nachbarskindern kurz vor der Tat in Richtung Wald gegangen ist. Dann nämlich hätte er auf die auf dem selben Weg heimkehrende Bäuerin treffen müssen.«
Kajetan stimmte ihm zu.
Der Anwalt schwieg eine Weile. Dann sagte er nachdenklich: »Was wissen wir von diesem Johann Fürst?« Er gab sich selbst die Antwort: »Als uneheliches Kind und früher Waise der Fürsorge übergeben und bei wechselnden Pflegefamilien im Niederbayerischen aufgewachsen, konnte er immerhin bei einem entfernten Verwandten den Beruf eines Schlossers erlernen. Den Krieg hat er vom ersten Tag an mitgemacht. Zuletzt war er bei der Luftwaffe, aus der er nach einem Absturz, den er knapp überlebte, noch vor Kriegsende entlassen wurde. Ab Jahresende war er bis zu deren Auflösung in der Einwohnerwehr und unter anderem an der Niederschlagung der Räteregierung beteiligt. Anschließend unterschiedliche Tätigkeiten, vom Mechaniker angefangen bis zum Chauffeur, dazwischen auch einmal reisender Handelsvertreter.« Er sah Kajetan an. »Nicht die besten Voraussetzungen für ein sorgenfreies Leben. Warum könnten wir nicht zu seinen Gunsten annehmen, dass er sich bei seiner Aussage schlicht geirrt hat?«
»Vielleicht, weil er sie zu oft wiederholt hat?«
»Auch meine Meinung«, sagte der Anwalt. »Die nächste Frage wäre dann: Wie kommt sein ehemaliger Kommandeur dazu, ihm dieses falsche Alibi zu bestätigen?« Er blätterte in den Akten und zog mehrere Blätter hervor. »Hier. Hugo von Lindenfeld gibt zu Protokoll, dass Fürst gegen sieben Uhr bei seiner Einheit erschienen ist.« Er schob die Blätter beiseite. »Auch wenn wir dem Gericht nachweisen, dass er nicht vor neun Uhr aufgetaucht sein kann, wird es dem falschen Alibi kein entscheidendes Gewicht beimessen. Aber es ist immerhin einer der vielen Bausteine, mit denen wir die damaligen Ermittlungen in Summa als fragwürdig darstellen können. Helfen würde uns dabei zusätzlich, wenn wir nicht nur bei Fürst, sondern auch bei dem Major ein wenig nachbohren. Was denken Sie?«
»Der Lindenfeld ist eine Drecksau«, sagte Kajetan.
Der Anwalt sah ihn überrascht an. »Ich hätte zwar nicht unbedingt diesen Ausdruck gewählt, aber vermutlich liegen Sie richtig. Der Mann ist der klassische deutsche Opportunist, großmäulig, intrigant, rücksichtslos. Ich hatte schon einmal indirekt das Vergnügen mit ihm, weil ich die Witwe eines von seinen Soldaten getöteten angeblichen Spartakisten vor dem Reichswirtschaftsgericht vertrat. Sie kennen ihn demnach ebenfalls?«
Kajetan nickte grimmig. »Aber ein Vergnügen war es eher nicht.«
»Erzählen Sie.«
»Anfang Mai 1919 war Hugo von Lindenfeld mit seinem Adjutanten zu einem Haus bei Landsberg gefahren, hatte dort geklingelt, den öffnenden Bewohner nach seinem Namen gefragt und, als ihn dieser arglos genannt hatte, den Revolver gezogen und geschossen. Das Opfer war verantwortlicher Redakteur eines wenig bekannten Blättchens namens ›Süddeutsche Freiheit‹ gewesen. Der Form halber leitete die Münchner Kriminalpolizei Ermittlungen ein. Der zuständige Beamte war …«
»Ich vermute einmal: ein Kriminalinspektor namens Paul Kajetan«, führte der Anwalt zu Ende. »Und das Ganze ging wie das Hornberger Schießen aus, richtig?«
»Der Fall ist mir weggenommen worden.«
»Ersparen Sie mir einen Kommentar dazu«, meinte Herzberg. »Aber zurück. Bringt uns die Tatsache weiter, dass dieser Johann Fürst offensichtlich auch später noch hin und wieder für ihn tätig war?«
»Möglich.«
»Gut, wir werden sehen«, schloss der Anwalt. »Dann zuletzt zu Rotters ehemaliger Magd. Ob das Fräulein Köller in Rotter verliebt ist oder ob sie ihm einfach beistehen möchte, weil er sie damals anständig behandelte, ist für uns ohne Belang. Aber wenn sie vor Gericht so beherzt für ihn eintritt, wie Sie es schilderten, ist es für den Staatsanwalt in
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