Am Ende des Tages
hätte er sich verirrt, verharrte er an der Ecke Schommerstraße und schlug wieder die Richtung zur Altstadt ein. Nach wenigen Schritten bog er in die stille, nur vom milchigen Schimmer der Straßenlaternen beleuchtete Zweigstraße ein.
Er ging jetzt schneller. Bald hatte er gefunden, wonach er suchte. Er machte einen Satz und drückte sich in die Laibung einer Wagenremise.
Als sein Verfolger an ihm vorbeiging, sprang er hervor.
»Junger Mann?«
Der Angesprochene blieb ruckartig stehen und drehte sich um.
Kull ging auf ihn zu. »Ich bin äußerst geschmeichelt, dass Sie sich so für mich interessieren, mein Herr. Aber wäre es nicht Gebot der Höflichkeit, wenn Sie sich endlich vorstellen würden?«
Das Gesicht des Mannes wurde dunkel. »Lassens mich in Ruh.«
»Den Teufel werd ich tun. Wer ist Ihr Auftraggeber?«
Der Beschatter drehte sich brüsk um. Kull ergriff seine Schulter und zog ihn zurück. »Ich habe Sie etwas gefragt.«
Der Beschatter riss seinen Arm hoch und holte aus. Kull beugte sich zur Seite, packte seinen rechten Arm, riss ihn sich über die Schulter und wirbelte ihn durch die Luft. Sekunden später lag der Beschatter auf dem Pflaster und glotzte ihn überrascht an.
»Drücke ich mich so undeutlich aus?«, sagte Kull. »Wer ist …?«
Blitzschnell war sein Gegner wieder auf den Beinen. Er griff in seine Manteltasche.
Kull trat einen Schritt zurück.
»Mach jetzt nichts verkehrt, Meister«, sagte der Unbekannte. »Das Ding ist geladen, und ich bins noch mehr.«
Er führte seine Linke zum Mund und ließ einen kurzen, scharfen Pfiff ertönen. Eine unbeleuchtete Simson-Supra-Limousine näherte sich.
30.
»Ausgezeichnet«, sagte der Anwalt aufgekratzt, nachdem Kajetan seinen Bericht beendet hatte. »Allein schon, was Ihre Beobachtung zu den damaligen Sichtverhältnissen betrifft. Ich werde mich sofort mit Professor Kahl von der Technischen Hochschule in Verbindung setzen. Er lehrt Astronomie und Optik und ist eine reichsweit anerkannte Koryphäe.« Er schürzte die Lippen. »Ihr Honorar ist jedenfalls gut angelegt.«
»Ich tu bloß meine Arbeit«, sagte Kajetan.
Herzberg schmunzelte onkelhaft. »Vorsicht, Herr Kajetan. Wer zu bescheiden tut, macht sich verdächtig, in Wirklichkeit sehr wohl von sich eingenommen zu sein.«
Erwischt, dachte Kajetan.
»Gut«, fuhr der Anwalt fort. »Dann gehen wir die einzelnen Punkte noch einmal durch. Ihre bisherigen Beobachtungen haben im Wesentlichen die Fragwürdigkeit der Aussagen der Augenzeugen bestätigt. Hinzu gekommen ist, dass zumindest eine weitere Person ein Motiv gehabt haben könnte. Der jetzige Besitzer des Anwesens scheint sich vor Rotters Hochzeit berechtigte Hoffnungen gemacht zu haben, den Hof für ein Butterbrot überschrieben zu bekommen. Was durch Rotters Einheirat zunichtegemacht wurde, einen tiefen Groll bei ihm auslöste und zu wütenden Attacken und Beleidigungen nicht nur gegen Rotter, sondern auch gegen dessen Frau führte …«
»Aber er hat ein Alibi«, sagte Kajetan.
»Das ihm von seinen Familienangehörigen gegeben wurde. Könnte er diese nicht unter Druck gesetzt haben, für ihn einzustehen?«
Kajetan schüttelte den Kopf. »Der Schorsch Schwaiger ist zu dumm dazu.«
»Man muss nicht intelligent sein, um einen Menschen zu töten«, gab Herzberg zu bedenken. »Ich würde sogar behaupten, im Gegenteil.«
»Aber ihn so vorzubereiten und auszuführen, dass kein Verdacht auf einen fällt, dazu darf man kein Dummkopf sein. Der Schwaiger dagegen ist ein Mensch, der bloß von einem Zaunpfosten zum nächsten denkt.«
»Aber sollten wir uns nicht wenigstens fragen, woher diese Vehemenz rührt, mit der der Mann darauf besteht, dass Rotter ein Verbrecher ist? Daran, dass der Hof rechtsgültig auf ihn übergegangen ist, würde sich doch nichts ändern, wenn Rotter wieder freikäme.«
»Das lässt sich wahrscheinlich damit erklären, dass der Rotter seinen Hof damals in höchster Not an ihn verkaufen hat müssen. Wenn sich jetzt herausstellen würd, dass der Schwaiger seinerzeit einen Unschuldigen mit einem schandbar niedrigen Preis über den Tisch gezogen hat, könnt ihm das heut noch übel genommen werden. Nicht aber, wenn der Rotter nach wie vor als Mörder dasteht.«
»Leuchtet ein«, pflichtete ihm der Anwalt bei. »Nächster Punkt: Dieser Schlosser, Johann Fürst, hat eindeutig die Unwahrheit gesagt. Was für uns doch nicht weniger bedeutet, als dass er damit wieder in den Kreis der Verdächtigen rückt, nicht
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