Am Ende des Tages
Ihnen zuhause riecht! Wahrscheinlich wie im Schweinestall!«
Der Alte sog an seinem Stumpen.
Die Gespräche am Tisch waren verstummt. Alle Blicke waren auf den Alten gerichtet. Gleich würde etwas geschehen. Unmöglich, dass der Schuster Saul sich diese Beleidigung gefallen ließ. Einst Fahrmeister bei der Pschorr-Großbrauerei, hatte er jahrzehntelang tonnenschwer beladene Fuhrwerke durch die Münchner Straßen gelenkt. Jetzt war er zwar seit vielen Jahren in Pension, aber die Kraft seiner Muskeln hätte noch immer ausgereicht, um einem Hänfling wie diesen preußischen Schreihals mit einem einzigen Hieb das Maul zu stopfen.
»Saul. Sag was«, murmelte jemand.
Aber nichts geschah. Der Alte sog an seinem Stumpen und tat, als habe er nichts gehört.
»Nee!« Kull schüttelte entrüstet den Kopf. »Mit so einem Schmutzfink an einem Tisch sitzen zu müssen, kann einem ja den Appetit verderben!«
Empörtes Murmeln wogte auf. Die Kellnerin eilte herbei.
Kull warf sich in die Brust. »Gnädige Frau! Bitte entfernen Sie dieses Individuum und seinen inkontinenten Köter aus dem Lokal! Ich möchte meine Schuhe nicht in Hundepisse baden!«
Sie bückte sich und warf einen kritischen Blick in die Richtung, in die Kulls Finger gezeigt hatte. Sie stand wieder auf und wandte sich mit an den Alten.
»Könntst deinen Wastl ruhig auch mal draußen biseln lassen, Saul«, tadelte sie mild. Zu Kull sagte sie ausgleichend: »Hat doch schon wieder aufgehört. Der Wastl ist doch sonst so ein braves Hunterl.«
Kulls Fassungslosigkeit wuchs.
»Das … das ist alles, was Sie dazu sagen?!«, schnaubte er.
In den Alten kam Bewegung. Er sog noch einmal kräftig an seinem Stumpen, stemmte sich ächzend aus dem Stuhl und griff nach der Leine.
»Komm, Wastl«, brummte er gemütvoll. »Wir gehen heim. Da haben wir unsere Ruh, gell?« Er taperte zur Garderobe und zog sich umständlich seinen Mantel über. Wenig später fiel die schwere Eingangstür hinter dem sichelnden Schwänzchen des altersschwachen Dackels ins Schloss. Ungläubige Blicke hatten ihn begleitet. Als sie zu Kull zurückkehrten, waren sie feindselig.
Die Kellnerin war aufrichtig enttäuscht. »Gehns, Herr, so unkommod hättens jetzt aber auch nicht sein müssen. Der Schuster Saul ist bei uns herin ja wie ein Möbel. Ich hoff bloß, dass er ab jetzt nicht woanders einkehrt«, sagte sie. »Wissens, bei uns gehts halt nicht so gespreizt zu.«
Kull verstand. Er schoss aus seinem Sitz.
»Gnädige Frau! Wenn das so ist – mir ist der Appetit vergangen. Adieu!«
Sie nickte gelassen. »Aber vorher zahlens.«
»Sehr witzig«, keifte Kull. »Sehr, sehr witzig! Könnt mich direkt ausschütten vor Lachen. Da mutet man mir zu, in einer Kloake zu …«
Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und hob das Kinn. »Suppen. Halbe Bier. Schweinsbraten. Zwei Mark.«
Kull starrte sie an, dann in die Gesichter der anderen Gäste. Hass und Verachtung funkelten ihm entgegen.
»Zwei«, wiederholte sie, und ihre zuvor so herzenswarme Stimme klang jetzt, als käme sie direkt aus einer Gruft. Aus jener, in die er fahren würde, wenn er sich dieser Frau widersetzte.
Er kramte in seiner Tasche und knallte die Münzen auf den Tisch. »Aber so viel Verständnis werden Sie haben, dass ich unter diesen Umständen nicht mit Trinkgeld um mich werfe.«
»Ein Gaudibursch ist er auch noch.« Sie strich die Münzen mit unbeteiligter Miene ein. »Den Ausgang findens?«
Kull antwortete nicht. Er hastete auf die Garderobe zu, griff nach seinem Mantel und schlüpfte in den ersten Ärmel. Plötzlich erstarrte er. Mit einem Ruck streifte er den Mantel wieder ab, hielt ihn hoch und kreischte: »Dieser … dieser Kretin hat seine brennende Zigarre in meine Tasche gesteckt!«
Ein herzliches Gelächter ließ die Wände des Gasthauses erbeben. Kull stürzte hinaus.
Blind vor Zorn rannte er in die Stadt zurück.
Diese Barbaren!
Er blieb stehen, stützte sich an einer Hauswand ab und rang nach Luft.
So!, dachte er. Und jetzt: Attacke!
28.
Dr. Rosenauer erhob sich, ging um seinen Schreibtisch und streckte Kajetan die Hand entgegen.
»Nachricht erhalten? Schön«, sagte er.
Kajetan ergriff Rosenauers Hand und schüttelte sie.
»Eher gings nicht.«
»Nichts passiert.« Während Kajetan sich setzte, kehrte auch Rosenauer wieder auf seinen Sessel zurück. »Sie sind bei Doktor Herzberg vermutlich schwer beschäftigt, vermute ich. Der gute Doktor hat sich übrigens sehr lobend über Sie geäußert, wenn ich
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