Am Ende des Tages
der Tat ein gefundenes Fressen. Kann man ihr denn nicht klarmachen, wie sehr sie ihm damit schadet? Wie schätzen Sie sie ein?«
Kajetan wiegte den Kopf. »Intelligent genug wär sie. Trotzdem geb ich keine Garantie, dass ihr nicht sofort wieder die Ross durchgehen, wenn sie bloß ein falsches Wort hört.«
»Sie scheint in der Tat von äußerst gefühlsbetonter Wesensart zu sein. Ich selbst fand sie übrigens, als ich damals meinen ersten Antrag vorbereitete und dazu mit ihr sprach, nicht unangenehm. Vor allem hatte ich in keinster Weise den Eindruck, eine ausgebuffte Lügnerin vor mir zu haben.«
»Ich eigentlich auch nicht«, sagte Kajetan.
Herzberg runzelte die Stirn. »Das kam ein wenig zögerlich.«
Kajetan sah an ihm vorbei. »Möglich.«
Leichte Gereiztheit lag in der Luft. »Hätten Sie vielleicht die Güte, mir mitzuteilen, was in Ihrem Gehirn gerade vor sich geht?«
»Ich denk erst nach, bevor ich mein Maul aufmach«, konterte Kajetan säuerlich. »Und das tät ich auch gern beibehalten.«
»Natürlich«, lenkte der Anwalt ein. »Allerdings wäre ich nicht unglücklich darüber, wenn ich bereits Zeuge davon sein dürfte, wie Sie Ihre Gedanken verfertigen. Ich habe bemerkt, dass Sie eine sehr eigene Art zu denken haben, Herr Kajetan. Was durchaus als Kompliment gemeint ist.«
Kajetan tat es mit einer Handbewegung ab. Er sah Herzberg ins Gesicht. »In den Prozessakten habe ich keine Information darüber gefunden, ob sich Fürst und die Köller nicht doch schon vor der Tat kannten. Hab ich was überlesen?«
Der Anwalt streifte ihn mit einem anerkennenden Blick. »Das haben Sie nicht, weil sich unsere damaligen Meister-Ermittler nicht mehr dafür interessierten, nachdem Major von Lindenfeld das Alibi Fürsts bestätigt hatte. Womit ich mich natürlich nicht zufriedengeben konnte. Doch mehr als das, dass sich die beiden theoretisch in der Vorkriegszeit begegnet sein könnten, habe ich nichts in Erfahrung bringen können. Sie muss es alles andere als leicht gehabt haben. Als Findelkind war sie bis zu ihrem zwölften Lebensjahr in einem Waisenhaus bei Deggendorf, danach wurde sie Magd auf einem größeren Anwesen in Neumarkt an der Rott. Sie gehörte nicht zur Familie, Gerüchte sprachen allerdings davon, dass sie die Frucht einer unerlaubten Beziehung ihres Dienstherren mit einer seiner ehemaligen Mägde gewesen sein könnte. Fürst wiederum lebte in den letzten drei Jahren vor seiner Einberufung bei einem Schlossermeister im Nachbarort.«
»Womit nicht auszuschließen ist, dass sich die beiden dabei schon mal über den Weg gelaufen sein könnten.«
»Das ist richtig. Aber angesichts dessen, dass die Köller vermutlich sehr streng gehalten wurde, ist es nicht sehr wahrscheinlich. Sie selbst behauptete jedenfalls mir gegenüber, keine Erinnerung daran zu haben, ihn schon einmal getroffen zu haben. Fürst äußerte sich gleichlautend.«
»Sie haben gründlich nachgeforscht«, bemerkte Kajetan.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Dass Sie, obwohl Sie einen guten Eindruck von der Köller gehabt haben, in Betracht gezogen haben, dass zwischen Fürst und ihr eine Beziehung bestanden hat und sich daraus ein Motiv ergeben könnt.«
»Richtig erkannt.« Herzberg ließ sich in die Lehne zurücksinken. »Ich habe mir angewohnt, jedem Menschen alles zuzutrauen. Das sage ich nicht, weil mich mein Beruf bitter gemacht hätte. Sondern aus der Einsicht, dass in der menschlichen Natur nichts unmöglich ist. Das Glück des Menschen nämlich ist, dass er über die Gabe der Reflexion verfügt. Gleichzeitig ist es aber auch sein Unglück. Denn anders als ein Tier kann er sich damit vorstellen, vernichtet zu werden. Von den Mächten der Natur ebenso wie von Menschen, die ihm als Feinde gegenübertreten. Das versetzt ihn in Angst, und die wiederum ist es, die ihn antreibt. Wird er eher ungünstig in die Welt gestellt, muss er dieser allgegenwärtigen Bedrohung mit aller Macht begegnen. Der eine tut es, indem er sein Leben mit Anpassung und Vorsichten auslegt, bis er daran erstickt. Der andere, indem er zum rasenden Ehrgeizling wird, Kriegsheld, Industrieführer, Diktator sein möchte. Ein dritter wird zum Verbrecher.«
»Kann sein«, meinte Kajetan.
Herzberg lächelte entschuldigend. »Sehen Sie mir bitte nach, wenn ich gelegentlich ins Schwadronieren gerate. Aber die Erforschung der menschlichen Seele ist eben zu einem meiner Steckenpferde geworden. Und tatsächlich haben mir diese Erkenntnisse nicht nur oft bei meiner
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