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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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was? Er wirkte jedenfalls ziemlich niedergeschlagen, als er mir seinerzeit davon berichtet hat. So hab ich ihn bisher gar nicht gekannt.«
    Kajetan stimmte zu. Der Fall sei tatsächlich nicht einfach. Vor allem, weil die Tat schon sehr lange zurückliege.
    Rosenauer war informiert. Er erinnerte sich an Rotters Verurteilung vor zehn Jahren, und daran, dass er sich bereits damals nicht des Eindrucks hatte erwehren können, dass die Ermittlungen im Fall Rotter alles andere als ein Ruhmesblatt für Kriminalpolizei und Gericht waren. Aber ob es Herzberg gelingen würde, den Fall nach so langer Zeit wieder aufzurollen? Den einen oder anderen Verfahrensfehler aufzulisten würde jedenfalls nicht ausreichen. Erfolgversprechend wäre allein, wenn ein neuer Verdächtiger präsentiert werden könnte, nicht wahr? Bestünden denn dafür Chancen?
    Vielleicht, meinte Kajetan zurückhaltend. Bei einem der Beteiligten habe er immerhin schon herausfinden können, dass dessen Alibi nicht stimmen konnte.
    Rosenauer nickte anerkennend. Und? Habe man diesem Burschen schon auf den Zahn gefühlt?
    Kajetan verneinte. Der Mann führe offenbar ein sehr unstetes Leben, alle seine früheren Adressangaben seien nicht mehr gültig.
    »Geben Sie mir seinen Namen«, sagte der Kripoleiter kurzentschlossen. »Wenn er noch lebt und sich nicht in einem Negerkral versteckt hat, dürfte es für uns kein Problem sein, ihn zu finden.« Er lächelte überlegen. »Sie werden staunen, wozu die Kriminalpolizei mittlerweile in der Lage ist.«

29.
    Am späten Nachmittag marschierte Kull zum Hauptpostamt und ließ sich eine Kabine zuweisen. Bertha war sofort am Apparat.
    Sie klang müde. »Ich bin noch nicht ganz fertig. Außerdem bringen Sie mich noch ins Grab, Chef«, sagte sie. »Der Emil kennt mich inzwischen auch nicht mehr. Aber das interessiert Sie ja nicht.«
    »Nee.«
    »Eben.«
    »Flenn mir jetzt nicht die Ohren voll, Bertha«, sagte Kull, und er fand, dass es ihm tatsächlich gelungen war, etwas Versöhnliches in seine Stimme zu legen. »Lass jetzt gefälligst hören, was du hast.«
    Bertha seufzte. Dann berichtete sie.
    Der »Schutzbund für das Deutschtum im Ausland« wurde im Jahr 1919 gegründet, nachdem das Deutsche Reich größere Gebietsabtretungen im Osten und Westen hatte hinnehmen müssen. Er residierte in einem Innsbrucker Hotel und diente laut Satzung »dem ganzen deutschen Volk ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen«. Ins Leben gerufen wurde er von ehemaligen Offizieren der Reichswehr und mehreren Industrieverbänden, finanziert wurde er jedoch von Anfang an von der »Reichszentrale für Heimatdienst«, also direkt von der sozialdemokratisch geführten Regierung. Was jedoch nicht an die Öffentlichkeit dringen durfte. Schon gar nicht zu den Siegermächten. Diese hätten darin erste Maßnahmen zu einer künftigen Rückeroberung der verlorenen Gebiete geargwöhnt. Der »Schutzbund«, der seinen Finanziers nur gelegentliche Berichte über eine angeblich bevorstehende Invasion Mussolinis in Nordtirol lieferte, knüpfte binnen kurzer Zeit ein Netzwerk aus Reaktionären und Revanchisten. Er unterstützte deutschnationale Gruppierungen in den deutschsprachigen Auslandsgebieten, aber auch faschistische Bewegungen in anderen Staaten mit Propaganda, organisatorischer Logistik und Waffen. In West-Österreich gelang es ihm innerhalb weniger Jahre, mehrere zehntausend Bewaffnete zu rekrutieren, die er offiziell als Schützenverein tarnte. Ein weiteres Ziel des Bundes war, eine faschistische »Weiße Internationale« ins Leben zu rufen; über den Umweg einer starken europäischen Bewegung sollte schließlich auch der deutschen Republik der Garaus gemacht werden. Obwohl sich der »Schutzbund« nicht einmal die Mühe machte, dies alles zu verhehlen, floss die Finanzierung aus geheimen Fonds einzelner Reichsministerien üppig weiter, unabhängig davon, ob an der Spitze der Reichsregierung ein Bürgerlicher oder ein Sozialdemokrat stand.
    »Hört sich wie ein schlechter Witz an, finden Sie nicht?«, meinte Bertha. »Unsere Regierung finanziert das Ausheben eines Grabes und scheint keinen Dunst zu haben, dass sie selber drin beerdigt werden soll. Kann man so doof sein?«
    »Man kann«, sagte Kull. Wenn man beispielsweise einer alten Seilschaft angehört, dachte er. Oder wenn man Schiss hat, es sich mit den Nationalen zu verderben.
    Er drängte: »Und, weiter?«
    »Nicht mehr viel. Major Bischoff, der Führer dieses Bundes, scheint beste Beziehungen zu haben,

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