Am Ende des Tages
wird angeführt, Sie hätten im Mai 19 einem politischen Verbrecher zur Flucht verholfen.« Er nahm die Brille ab. »Nun, eine gerechtfertigte, wenn nicht gar eher milde Entscheidung, würde ich sagen.«
»Ich nicht«, sagte Kajetan.
Der Kripoleiter hob die Brauen. »Einsicht zu zeigen, war offensichtlich noch nie eine Ihrer Stärken, wie?«
»Es ist ein Lehrbub aus meiner Nachbarschaft gewesen, noch keine siebzehn. Ich hab gewusst, dass er nichts getan hat. Und auch, wer seiner Mutter mit der Denunziation eins hat auswischen wollen.«
»Sie hätten sich im Prozess für ihn einsetzen können.« Rosenauer griff nach einem Etui und entnahm ihm eine Brissago, ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. »Ihre Stimme als Polizeibeamter hätte Gewicht gehabt.«
»Es war noch Standrecht. Der Bub wär auf der Stell erschossen worden.«
»Es ist trotzdem nicht zu billigen. Wo kämen wir hin, wenn jeder Beamter nach privatem Ermessen handeln würde?«
Kajetan sah zur Seite. »Vielleicht wars … nicht besonders geschickt von mir, ja.«
Rosenauer entfernte den Halm aus seiner Zigarre und zündete sie damit an. »Na, immerhin scheinens auch einmal was einzusehen. Übrigens – da Sie mit dieser Tat nicht hausieren gegangen sein werden, liegt doch nahe, dass Sie jemand verpfiffen hat. Oder was meinen Sie?«
»Habs nie rausgekriegt.«
Rosenauer paffte. »Es war die Mutter des Buben. Natürlich unabsichtlich. Aber in ihrer Erleichterung hat sie sich im Milchladen verplappert. Einen Tag später wusste ganz Giesing davon.« Er schmunzelte überheblich. »Sehens, so ein Blick in die Akten kann gelegentlich doch ganz aufschlussreich sein, findens nicht?« Wieder wartete er Kajetans Erwiderung nicht ab. Er sah auf den Akt und überlas murmelnd einige Zeilen. »Jedenfalls scheint es ab da mit Ihnen steil bergab zu gehen. In Dornstein im Chiemgau ermitteln Sie noch in einem Mordfall in einem Dorf namens …«
»Walching.«
»Richtig. Dabei versteigen Sie sich zu guter Letzt dazu, Ihrem dortigen Vorgesetzten eine Mittäterschaft anhängen zu wollen. Wofür Sie aber leider nicht ausreichend Beweise vorlegen können und deshalb endgültig entlassen werden. Danach – hier werden unsere Einträge naturgemäß ein wenig dürftiger – wursteln Sie sich eine Zeit lang mit einem eigenen Detektivbüro durch. Dabei sind Sie meist mit läppischen Betrugsfällen, dem Observieren unsolider Brautleute und ähnlichen Banalitäten befasst. Ihr wirtschaftlicher Erfolg hält sich jedenfalls deutlich in Grenzen.« Er registrierte Kajetans verblüfften Gesichtsausdruck. »Was schauens mich so an? Bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie wären der einzige Münchner Bürger, über den ein Dossier vorliegt. Aber wenn Sies schmeichelt – der Umfang Ihres Akts zeigt, dass man Sie auch nach Ihrer Entlassung noch einer Beobachtung für würdig befand. Was besonders für die politische Abteilung gegolten zu haben scheint.« Der Anflug eines spöttischen Lächelns umspielte Rosenauers Lippen, um sogleich wieder zu ersterben. »Und jetzt erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie sich dessen nicht bewusst waren. So naiv können Sie nicht sein.«
Kajetan senkte den Kopf. Doch, dachte er, das war ich.
Rosenauer kam zum Ende: »Tja, und dann findet man Ende Sommer diesen Jahres in einer Laimer Kiesgrube einen Kadaver, den man als den Ihren zu erkennen glaubt. Damit hätte der Deckel zugemacht werden können, was manchem vermutlich nicht unlieb gewesen wäre. Einige Wochen später geht aber eine Meldung ein, dass sich ein verdächtiges Subjekt, dessen Beschreibung ziemlich genau auf Sie zutrifft, in einem Dorf an der Grenze herumtreiben soll. Es ist ein Dorf, das unter anderem dafür bekannt ist, dass dort Schmuggler ihr Unwesen treiben. Wie auch dafür, dass über die dortige Grüne Grenze hin und wieder politische Flüchtlinge außer Landes gebracht werden. Es ist zwecklos abzustreiten, dass Sie dort waren.«
»Tu ich auch nicht, aber …«
Der Kripoleiter fiel ihm ins Wort: »Sie wollten sich von Ihren extraordinär hohen Honoraren den Luxus eines mehrmonatigen Erholungsurlaubs gönnen, möchtens sagen? Ich hab da eher den Verdacht, dass Sie sich ebenfalls außer Landes stehlen wollten. Was die Frage nach sich zieht, weshalb. Wie wärs, wenns mir das erklären würden?« Drohend fuhr er fort: »Und ich rat Ihnen zum letzten Mal: Verärgern Sie mich nicht!«
»Ich hab keine andere Erklärung als die, die ich …«
Rosenauers Faust knallte auf den Tisch.
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