Am Ende eines Sommers - Roman
du wagst dich in die Kammer des Schreckens.« George deutet auf den Toilettenschuppen. »Aber halt die Augen offen. Du glaubst nicht, was hier für Viehzeug unterwegs ist. Gestern ist mir eine Natter über den Fuß gekrochen. Ungelogen! Direkt über den Fuß. Ich war mitten im Pissen und konnte nur weitermachen. Mum sagt, wahrscheinlich hat mich das gerettet. Wenn ich in Panik geraten wäre, hätte sie sich vielleicht aufgerichtet und mich gebissen. Örghh.«
Am Waldrand zeigt George mir den Hydranten. Er ragt aus einem Zementklotz im Boden.
»Hier kriegen wir unser Wasser her. Ist aber nicht zum Trinken. Man kriegt die Scheißerei davon. Nur zum Waschen und zum Kochen. Und wir haben immer einen vollen Trog neben dem Kackstuhl; da kann man sich Hände und Gesicht waschen.«
»Und wenn man baden will?«
»Entweder stellst du dich hier unter den Hahn, oder wir lassen eine Blechwanne volllaufen und stellen sie in die Sonne, dann wird sie im Laufe des Tages warm.«
»Was denn – glaubst du, ich ziehe mich aus und stelle mich mitten im Wald unter einen Wasserhahn? Nie im Leben!«
George lacht. »Aber hier ist niemand! Das ist alles – nur wir. Der nächste Ort ist meilenweit weg. Die einzigen Lebewesen, die vielleicht einen Blick auf dein dünnes Pimmelchen werfen, sind die Schlangen im Wald. Und ich weiß, vor welcher ich mehr Angst habe.«
Er packt den festgebackenen Wasserhahn mit beiden Händen und dreht, und ein Schwall kaltes Wasser schießt heraus. Wir halten die Köpfe darunter, und wie ein Schock fließt das kühle Nass über unsere heißen, verschwitzten Rücken. Erfrischt spurten wir zurück zum Haus, um letzte Hand an unser Zelt zu legen. Als wir am Toilettenschuppen vorbeikommen, huscht eine kleine grüne Eidechse am hellen Mauerwerk hinauf.
» Lézard vert «, sagt George. »Unmöglich, die zu fangen. Glaub mir, ich hab’s versucht.«
Mein Kopf fühlt sich schwerelos an, und mein Blick treibt in den Hitzedunst, der zwischen uns und den beiden Frauen an der Küchentür flimmert. Es ist wie eine Fata Morgana in der Wüste. Mein Herz wird langsamer, ein gleichmäßig dumpfes Pochen, und ich sehe, wie Mum die Hand hebt und uns zulächelt, und sie blinzelt im grellen Sonnenlicht. Ein Vakuum aus Watte verschluckt alles, was ich höre, und ich spüre, dass meine Knie auf den staubigen Boden schlagen, bevor mein Körper ihnen folgt.
Mary,
Neujahr 1985
Der Geruch ist ganz falsch. Bevor mir klar wird, dass ich in einem fremden Bett bin, stimmt der Geruch nicht. Ich atme flacher, als ich aus der Dunkelheit des Schlafs heraufsteige, und ich fühle die unwillkommene Wärme eines fremden Körpers neben meinem. Stu rollt sich auf den Rücken, hebt die Arme über den Kopf und entlässt einen leichten Moschusgeruch ins Zimmer.
»Morgen, Tiger«, sagt er mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck. Wie die Katze, die an der Sahne genascht hat, hätte meine Mutter gesagt. »Gut geschlafen? Ich schon.« Er lacht leise und reibt sich das Kinn geräuschvoll mit den Knöcheln.
Ich ziehe das Laken bis ans Kinn und starre zur Decke. Mein Herz zittert, als ich versuche, die Ereignisse der vergangenen Nacht zusammenzufügen. Ich erinnere mich, dass ich lachend durch Stus Haustür gestolpert bin und an seine Hand auf meinem Po, die mich die Treppe hinaufgeschoben hat. »Wie lange kennst du Billy schon?«, frage ich und suche nach einer Gemeinsamkeit.
»Seit Jahren, mal mehr, mal weniger«, sagt er. »Aber richtig befreundet sind wir eigentlich erst, seit ich vor ein paar Monaten hier in die Straße gezogen bin.« Stu bewegt sich im Bett, und wieder weht sein schaler Geruch über mich hinweg.
»Oh«, sage ich und versuche, seinen nackten Körper unter dem Laken nicht zu berühren.
»Er hätte doch nichts gegen das hier, oder? Ich meine, ihr seid ja nicht mehr zusammen, stimmt’s?«
»Nein. Wohl nicht.«
Stu kratzt sich in der Achselhöhle und gähnt. »Egal. Er muss ja nichts erfahren, oder?«
Ich schaue wieder zur Decke und sehe die zwei grauen, feuchten Flecken in den beiden Ecken über dem Fenster. »Wo hast du denn vorher gewohnt?«
Er schwingt die Beine aus dem Bett, bleibt auf der Kante sitzen und versucht, in seine Boxershorts zu steigen. »In Southsea. Aber ich und die Missus, wir haben uns getrennt, und sie durfte das Haus behalten – und den Jungen. Und ich kann in diesem Scheißloch wohnen. Aber nicht lange. Ich suche mir was anderes. Etwas mit mehr Klasse, verstehst du? Ich sage dir – gib mir zehn
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