Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
Vom Netzwerk:
fährt uns durch die Haare und stößt uns in die Rippen, und es macht Spaß mit Dad.
    Als wir um halb sieben von Dad zurückkommen, steht der Mülleimer vor der Tür, sauber geschrubbt und zum Trocknen auf den Kopf gestellt. Mum ist auf. Wir öffnen die Haustür und hören den Fernseher im Wohnzimmer. Ich sehe Andy an und lege einen Finger an die Lippen, damit er still ist. Ich schleiche mich in die Küche, um nachzusehen. Sie ist tipptopp sauber. Ich gehe zurück zu Andy und strecke den Daumen hoch, und wir ziehen unsere Jacken aus und gehen ins Wohnzimmer.
    »Hallo, meine wunderbaren Jungs!« Mum lächelt, breitet die Arme aus und winkt uns zu sich aufs Sofa. Sie trägt ihr hübsches, violettes Hauskleid, und ihr schwarzes Haar ist glänzend gebürstet und lang.
    »War’s nett mit eurem Dad? Ich habe Marzipan-Bisquit zum Tee gekauft, und in zehn Minuten fängt Dr. Who an. Kommt her, ihr schönen Prinzen!«
    Sie nimmt uns in eine Art verschmusten Schwitzkasten, einen unter jeden Arm, als hätte sie uns seit einer Woche nicht gesehen. Sie riecht sauber und warm. Andys Gesicht ist neben meinem, und ich ziehe eine Fratze und schiele. Andy lacht, und ich weiß, er hatte heute einen guten Tag.

 
    Mary,
    März 1963
    Rachel ist so groß und so schlank, dass sie fast aussehen könnte wie ein Mann. Aber das tut sie nicht; langgliedrig und elegant und schwerelos sieht sie aus, und ihre Arme mit den schwingenden Gesten sind wie aus Quecksilber. Jede Bewegung ist fließend, und dunkle Locken fallen auf ihre braunen Schultern und tanzen im Seewind um ihr Gesicht.
    »Weißt du von unserem Bruder?«, fragt sie mich beiläufig und bückt sich nach einem blank geschliffenen grünen Stück Glas. »Guck mal«, sagt sie und hält es prüfend ins Licht.
    Der feuchte Wind heult in meinen Ohren, und ich wünschte, ich hätte eine Jacke mitgenommen. Stirnrunzelnd sehe ich Rachel an.
    »Mummy hatte einen kleinen Jungen, und er ist gestorben. Wahrscheinlich ist sie deshalb manchmal so.« Rachel erzählt mir das, als wäre es eine alltägliche Neuigkeit, nichts, worüber man sich aufregen könnte. Sie wischt sich die sandigen Hände an ihrer engen roten Hose ab.
    »Wann?«, frage ich, und ich kann es nicht richtig glauben.
    »Nach dir, glaube ich. Ich habe neulich gehört, wie Mummy geweint und mit Daddy darüber gesprochen hat. Da habe ich in ihren Sachen geschnüffelt, als sie nachmittags mal unterwegs waren, und die medizinischen Unterlagen gefunden.«
    »Was, wenn sie dich dabei erwischt hätten? Rachel! Bist du denn sicher? Mit dem Baby?«
    »Ja. Es stand schwarz auf weiß da. Männlich, Geburtsdatum, Gewicht, Name, Todeszeitpunkt. Örgh. Mich gruselt’s, wenn ich nur daran denke.«
    »Und wie hieß er?«
    »Das weiß ich nicht mehr. Wieso ist das wichtig?«
    »Er war unser Bruder, Rachel! Das ist doch wichtig. Manchmal glaube ich, du hast kein Herz.«
    »Na ja, wenn ich doll nachdenke, meine ich mich zu erinnern, dass er William hieß.«
    »William. Wie traurig. Die arme Mummy. Kannst du dir vorstellen, wie weh es tut, so ein Baby zu verlieren?«
    »Ich sage ja, es erklärt eine Menge. Wohlgemerkt, zu bedauern ist auch Daddy, aber ihn siehst du nicht Trübsal blasen und sich im Selbstmitleid suhlen.«
    »Rachel! Das ist ja schrecklich! Wie kannst du so reden?«
    Rachel streicht mit den Fingern an meinem Arm herunter und lächelt warmherzig. »Du weißt doch, ich meine es nicht so. Ich hab’s nur satt, dass sich immer alles um sie dreht.«
    Jetzt steht ihr das Wasser in den Augen, und ich wünschte, ich könnte ihre Gedanken lesen. Sie geht auf den Kieselsteinen davon.
    »Gibt es ein Grab?«, rufe ich ihr nach.
    Sie dreht sich um und geht rückwärts weiter, gegen den Wind gestemmt. »Ich weiß es nicht. Und sie wissen nicht, dass ich Bescheid weiß. Also kann ich sie nicht gut danach fragen. Aber schon möglich.«
    Bei der nächsten Buhne setzen wir uns im Schneidersitz ans Wasser und lassen flache Steine über das Meer hüpfen. Der Himmel ist düster grau, und ein salziger Dunst hängt zwischen Horizont und Wolken und verhüllt die fernen Piers von Brighton. Ich denke an das Baby, bleich und tot.
    »Ich habe da ein Dilemma«, sagt Rachel und wirft immer noch Steine über das Wasser.
    Ich betrachte ihr Profil. Bei ihr gibt es dauernd etwas Neues, während mir nie etwas passiert. Sie weiß immer alles zuerst, und alles passiert ihr vor mir. Sie ist die Räuberin alles Neuen.
    Sie seufzt tief. »Also, das Dilemma heißt Darren. Er

Weitere Kostenlose Bücher