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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
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der Ecke und stecke hastig meinen Londoner Stadtplan weg, damit Billy ihn nicht sieht. Ein paar Minuten später kommt er auf mich zugeschlendert, strahlend im Licht der Laternen. Die Hände stecken lässig in den Taschen, die Locken berühren die Schultern seiner braunen Jacke, und sein ruhiger Blick hält mich fest. Die Wucht seiner Anziehungskraft ist kaum zu ertragen.
    »Du bist gekommen«, sagt er amüsiert. »Bist also gar nicht so widerborstig.«
    Ich sehe ihn ratlos an.
    »Du weißt schon – Mary, Mary.«
    Ich lächle den Gehweg an. »Eigentlich doch«, sage ich und ziehe die Brauen hoch, plötzlich mutig.
    Und das gefällt ihm. Er zündet sich eine Zigarette an, legt mir den Arm um die Schultern und geht mit mir die Frith Street hinunter, vorbei an den Bars und Restaurants, in denen das Leben tobt.
    Das Café Emm wirkt lateinamerikanisch. In einer dunklen Ecke spielt eine einzelne akustische Gitarre, und aufmerksame ausländische Studenten tragen Teller hin und her. Die dicht beieinanderstehenden Tische mit den niedrigen Kerzenleuchtern und den leuchtend roten Tischdecken schaffen Atmosphäre. Schleier von Zigarettenmief hängen im Raum, sexy und weiß.
    Wir setzen uns an einen hinteren Tisch, und Billy bietet mir eine Zigarette an. Ich zögere und nehme sie dann. Er verzieht einen Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln. Reißt ein Streichholz an, grinst noch einmal und lehnt sich zurück.
    »Und, was studierst du?«, fragt er, während wir auf die Bedienung warten. Er lümmelt sich entspannt auf seinem Stuhl, legt einen Fußknöchel auf das Knie und den Arm über die Lehne. Es ist die Pose eines ruhenden griechischen Helden.
    »Kunst.« Ich fummle an einer Ecke der Speisekarte herum. »Ich wollte eigentlich mehr in Richtung Design, aber meine Eltern haben nur das Kunststudium in St. Martin’s erlaubt.«
    Er sieht mich stirnrunzelnd an.
    »Sie sind altmodisch. Sie hätten mich auf eine Sekretärinnenschule geschickt, wenn ich mitgespielt hätte. Wie meine Schwester. Also ist es jetzt Kunst.«
    Billy nickt und hört aufmerksam zu. »Du bist zum ersten Mal weg von zu Hause?«
    »Nein. Na ja, irgendwie schon. Aber es ist toll. Es gefällt mir, dass ich machen kann, was ich will. Verdammt, es ist einfach sagenhaft!«
    Billy lacht, und ich runzle die Stirn.
    »Was?«
    »Du. Ich bin noch nie mit einer wie dir ausgegangen.«
    »Wie bin ich denn?«, frage ich verärgert.
    »Vornehm! Das ist es. Du spricht wie die Queen.«
    »So ein Scheiß! Das stimmt nicht!« Er macht sich über mich lustig. Ich drücke meine halb gerauchte Zigarette im Glasaschenbecher aus, werfe mein langes Haar über die Schulter und sehe ihn vernichtend an.
    »Siehst du? Sogar, wenn du ›Scheiß‹ sagst, klingt es vornehm! Das ist unglaublich!«
    Ich hasse ihn.
    Der Kellner kommt und will unsere Getränkebestellung haben.
    »Was trinkst du?« Billy findet seine Fassung wieder und richtet sich auf. Jede Frage scheint voller Fußangeln zu sein.
    »Was für Wein haben Sie?«, frage ich den Kellner.
    Er zeigt mir die Liste im hinteren Teil der Speisekarte. Ich spüre, dass es Billy unbehaglich wird.
    Ich lächle ihn an. »Vielleicht möchtest du einen aussuchen?«
    Er zögert und starrt auf die Karte. »Welchen magst du denn?«, fragt er, ohne den Kopf zu heben.
    »Tja, das kommt darauf an, was wir essen«, sage ich und spreche jede Silbe klar und deutlich aus. »Weißt du was? Du suchst aus. Ja, du suchst aus – was wir essen und welchen Wein wir dazu trinken. Du wirst bestimmt eine gute Wahl treffen.« Ich klappere mit den dick getuschten Wimpern und genieße meine Bosheit.
    Er reibt sich das Kinn, lehnt sich zurück und schaut mich unter dunklen Brauen hervor an. Der Kellner tritt verlegen von einem Fuß auf den andern. Das Kerzenlicht schimmert in Billys Augen, und er sieht aus wie Luzifer persönlich: bereit, mich mit Haut und Haaren zu verschlingen.
    »Scheiß drauf«, sagt er, und sein starker Dialekt ist unüberhörbar. »Wir trinken Bier. Wir trinken kaltes Bier und essen heißes Essen, und danach trinken wir Mescal. Das Ganze abgerundet mit einem starken Kaffee, und dann suchen wir uns was anderes aus. Bist du dabei, Edel-Mädel?«
    Er dreht sein Lächeln voll auf und entblößt die weißen Zähne wie ein Wolf, und – ja!, hätte ich beinahe geschrien, ich bin dabei! Ich bin dabei!
    Billy wohnt in einem unrenovierten Lagerhaus in der London Bridge Street. Er zahlt keine Miete, denn er ist hier der Hausmeister für einen

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