Am Ende eines Sommers - Roman
Rachel packt einen großen Kirsch-Käsekuchen auf den Tisch. »Richtige Partymonster. Und das war damals, als die Leute noch wirklich wussten, wie man Party macht.«
»O Gott, Rachel, du spinnst ja!«, ruft Mum und schnippt mit dem Finger an Rachels Handgelenk, als diese den Kuchen aufschneiden will. Mum drückt ihre Zigarette im Aschenbecher aus und geht zum Kamin, um ihn auszuleeren.
»Ach komm, Mary, wir waren doch umwerfend! Erinnerst du dich an die Minikleider, die wir uns genäht haben – zwei gleiche, und sie haben kaum unsere gerüschten Höschen bedeckt! Und konnten wir etwa nicht tanzen? Twist, Monster Mash. Wir kannten sie alle.«
George hat den Kopf in beide Hände gestützt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Mum wilde Partys feiert, jung und lebhaft und ohne Kinder.
»Käsekuchen, George?« Tante Rachel reicht ihm einen Teller hinüber und zwinkert mir zu. »Komm schon, George, iss auf, und ich erzähle euch noch mehr von meinen Partyzeiten. Und wenn ihr wollt, zeige ich euch auch die Tanzschritte.«
George hebt den Kopf und sieht mich an wie ein zum Tode Verurteilter. »Siehst du?«, sagt er.
Ich lache und schiebe den letzten Bissen Käsekuchen in den Mund, süßen, zarten Biskuit. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob ich ihn mögen würde, aber er schmeckt kein bisschen nach Käse. Tante Rachel schnappt sich meinen Teller, legt noch ein großes Stück darauf und schiebt den Teller zurück, wortlos und ohne mich anzusehen.
Das Essen ist zu Ende, und ich starre unwillkürlich das Foto von Onkel Robert an, das George und mir gegenüber hinter Tante Rachel an der Wand hängt. Seine lächelnden Augen schauen aus dem Bild heraus und folgen einem überallhin. Irgendwie ist es, als wäre sein Geist im Zimmer. Ich betrachte Georges Gesicht und sehe, dass er kein bisschen Ähnlichkeit mit Onkel Robert hat, genauso wie ich nicht aussehe wie Dad. Komisch, wie das funktioniert. Obwohl George die ganze Zeit versucht, brummig auszusehen, hat er ein nettes Gesicht. Und ich verstehe was von Gesichtern.
»Was guckst du?«, fragt George und klingt wieder genervt.
»Nur so«, sage ich und wische mit dem Finger über meinen sauber geleckten Teller.
Nach dem Essen verschwindet George auf sein Zimmer und will allein sein, und wir andern ziehen ins Wohnzimmer um, wo Tante Rachel ein großes Feuer gemacht hat. In der Ecke neben dem großen Fenster steht ein richtiger Weihnachtsbaum mit Hunderten von winzigen, handgemachten Kugeln aus Glas und Flitter. Sie sind ganz anders als die metallischen Plastikkugeln, die wir an unserem kleinen Bäumchen zu Hause haben, und es gibt auch kein glitzerndes Lametta, sondern Ketten von kleinen Keksen mit Zuckerguss, die Tante Rachel und Katy heute Nachmittag gebacken haben, als sie wussten, dass wir kommen. Ellie liegt auf dem schmuddeligen Teppich vor dem Kamin, und ihre pelzige Brust hebt und senkt sich mit jedem Schnarcher. Tante Rachel macht zur Feier unserer Ankunft eine Schachtel »After Eight« auf. Mum und sie strecken sich auf den großen alten Ledersofas aus, und wir andern sitzen auf Kissen auf dem Boden. Die »After-Eight«-Schachtel wandert herum, und ich und Andy können gar nicht genug davon kriegen. Besser als »Dairy Milk«. Andy zieht die Stirn überhaupt nicht mehr kraus. Er und Katy verstehen sich offenbar prima. Sie hangelt unter dem Couchtisch nach seinem Fuß, und beide versuchen kichernd und zappelnd, einander zu entkommen. Ich frage Tante Rachel, ob sie Fotos von Onkel Robert hat, und sie holt ein Album und einen Karton voller Bilder. Im Feuerschein sieht sie ziemlich jung aus, und sie blättert mit lebhaften Augen in dem Album. Mum entkorkt die Rotweinflasche und füllt beide Gläser.
»Was hat Onkel Robert gemacht?«, frage ich Tante Rachel. Mum funkelt mich an, als hätte ich eine furchtbare Frage gestellt.
»Ist schon gut, Mary. Er war viele Jahre lang Partner in einer Anwaltskanzlei. George und Katy waren in einem Internat auf dem Land, und ich habe hier und da ein bisschen Wohltätigkeitsarbeit gemacht. Aber dann kam Robert mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus. Vor drei Jahren. Wahrscheinlich zu viele Geschäftsessen und zu viel Stress.« Sie blättert in den Fotos. »Also haben wir unsere Zelte abgebrochen, sind hierhergezogen, und dein Onkel wurde Schriftsteller, während ich mich um die Tiere und die Kinder kümmerte. Ein gutes Leben, würden viele Leute sagen.«
Ich betrachte ein körniges Foto von Tante Rachel und Onkel Robert vor
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