Am Ende siegt die Liebe
nachgedacht, was sein wird, wenn er wirklich nach Thailand zurück muß? In Bangkok erwartet ihn ein Kinderheim. Und selbst, wenn sich seine Tante entschließen würde, mit ihm mitzugehen, würde er mit einem Leben konfrontiert, an das er mit seinen vier Jahren keine Erinnerung mehr haben kann.«
»Der Anwalt von Herrn Lange hat inzwischen immerhin e rreicht, daß David eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung bekommen hat.«
»Und dann?« fragte Katharina skeptisch. »Ich glaube nicht, daß man Frau Bender erlauben wird, den Buben zu adoptieren? Sie ist nicht ei nmal verheiratet.«
»So etwas kann sich schnell ändern.«
»Herr Lange sollte endlich Nägel mit Köpfen machen.« Katharina stand auf, um den Tisch abzuräumen. »Ich bin bestimmt nicht dafür, derartige Dinge zu überstürzen, aber in diesem Fall ist das etwas anderes. Er liebt auch den Buben. Für mich sieht es jedenfalls so aus.«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, Katharina.« Dr. Schumann dachte an seine frühere Verlobte. »Du weißt, ich habe selbst die Erfahrung gemacht, daß man sich oft viel zu schnell zur Heirat entschließt. Es ist bestimmt kein Fehler, gründlich über einen so schwerwiegenden Schritt nachzudenken. Und eine A doption sollte man sich ebenfalls genau überlegen, zumal bei einem Kind wie David. Immerhin erkennt man bei ihm schon auf den ersten Blick, daß er aus einem anderen Kulturkreis stammt. Man wird es weder ihm noch seinen Adoptiveltern immer leicht machen.«
»Wenn es ihnen gelingt, ihm die nötige Sicherheit zu geben, wird er sich auch behaupten können«, erklärte Katharina resolut. »Und ehrlich, ich bin überzeugt, daß Frau Bender und ihr zukün ftiger Mann alles tun würden, um ihm dabei zu helfen, sich bei uns zu integrieren.«
»Hörst du etwa schon wieder Hochzeitsglocken läuten?« fragte Marc lächelnd. »Davon abgesehen, wäre es wirklich schön, wenn die beiden sich finden würden. So verliebt, wie sie ineinander sind, kann ihre Ehe nicht scheitern.« Er stand auf und wandte sich der Tür zu. »Ich bin in meinem Arbeitszimmer, Katharina. Ein ganzer Stapel Fachzeitschriften wartet nur darauf, endlich von mir gelesen zu werden.«
Dr. Schumann kam nicht dazu, auch nur eine der Zeitschriften aufzuschlagen. Katharina hatte ihm gerade eine Tasse Kaffee gebracht, als das Telefon läutete. Es war Frau Weller vom Sankt Agnes-Stift. Einer der alten Herrn, die bei ihr im Altenheim lebten, konnte plötzlich nicht mehr sprechen, sondern nur noch unartikulierte Laute hervorstoßen.
»Mir sieht es nach einem Schlaganfall aus«, sagte sie. »Es kommt mir auch vor, als würde sein linker Mundwinkel etwas nach unten hängen.«
»Wann ist es passiert?«
»Vor knapp zehn Minuten, Herr Doktor«, antwortete die Heimleiterin. »Er saß mit seinen Freu nden beim Kartenspielen.«
»Ich komme sofort, Frau Weller«, versprach Marc. »Bis gleich.« Er legte auf und eilte in die Praxis hinüber, um seine T asche zu holen. Bei einem Schlaganfall entschieden die ersten Stunden darüber, inwieweit der Patient wieder ein normales Leben führen konnte.
* * *
Say legte einen Strauß roter Rosen auf das Grab ihrer Schwester. Noch immer machte sie sich Vorwürfe, obwohl ihr alle versiche rten, daß sie am Tod ihrer Schwester keine Schuld trug. Woher hätte sie denn wissen sollen, daß Kim operiert werden mußte?
Langsam richtete sie sich auf, strich sich die Haare zurück, nahm ihre Handtasche und verließ den Friedhof. Bis zum Hotel war es weit, dennoch fuhr sie nicht mit dem Bus. Es gab so vieles, worüber sie nachdenken mußte. Sie hoffte, auf dem Rückweg zum Hotel eine Antwort auf ihre Fragen zu finden.
Was sollte nur aus David werden? – So sehr sich Herr Lange und Frau Bender auch darum bemühten, David zu helfen, Say konnte nicht mehr daran glauben, daß man es ihm erlauben würde, für immer in Deutschland zu bleiben. Wenn sie ihm ein Kinderheim ersparen wollte, mußte sie mit ihm nach Thailand zurückkehren. - Und wovon sollten sie leben? Ihre Ersparnisse reichten nicht aus, um sich in Bangkok eine Existenz aufzubauen.
Says Gedanken bewegten sich im Kreis. Als sie schließlich das Hotel erreichte, hatte sie noch immer keine Lösung für ihre Pr obleme gefunden. Müde zog sie sich aus und duschte. Sie wollte eine Tasse Tee trinken und dann ihren Dienst aufnehmen. Ihr verstorbener Mann und sie hatten eine gute Ehe geführt. Selten zuvor hatte sie sich so nach ihm gesehnt, wie in den letzten Wochen. Sie
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