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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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krampften sich zusammen, und er suchte nach einem Weg, um den Schlag abzumildern, den er ihr offenbar unbeabsichtigt versetzt hatte. Doch noch ehe ihm etwas Brauchbares einfiel, nahm Dix ihn beiseite. »Hat nix mit dir zu tun, Bruder. Is' wegen Ness. Wie war sie denn zu eurer Mum?«
    Als Joel schwieg, sah Dix zu Ness hinüber. Sie erwiderteseinen Blick unverwandt. Ihre Haltung, ihr Ausdruck, selbst die Art, wie sie mit geblähten Nasenflügeln die Luft ausstieß, forderten ihn heraus. Doch er war klug genug, diese Herausforderung nicht anzunehmen. Stattdessen sorgte er immer dafür, dass er etwas zu tun hatte, während sie zu Hause war: Er fuhr ins Fitnessstudio, traf sich mit seinen Sponsoren, bereitete seinen nächsten Wettkampf vor, kaufte seine Speziallebensmittel ein und kochte sich seine Bodybuildermahlzeiten.
    So dümpelte das Leben einige Wochen lang in einer Art und Weise vor sich hin, die ein Außenstehender für Normalität hätte halten können. Doch schließlich zerbrach der labile Familienfrieden.
    Joel war auf dem Weg zum Lernzentrum, wohin Toby auch in den Sommerferien immer noch regelmäßig ging. Er war gerade um die Ecke der Great Western Road gebogen, als er sah, dass auf der anderen Straßenseite hinter dem Eisengitter, das den Gehweg von der Straße trennte, ein Tumult entstand. Drunk Bob, ein stadtbekanntes Individuum, saß dort in seinem Rollstuhl an einem seiner bevorzugten Plätze, gleich links neben der Tür einer Spirituosenhandlung und unter dem Schaufenster, in dem ein Schild auf ein Sonderangebot für spanischen Wein hinwies. Er hielt eine Papiertüte an die Brust gedrückt, in der sich offensichtlich eine Flasche befand. »Oy! Oy!«, rief er; an sich noch nicht ungewöhnlich. Doch er richtete seinen Ausruf heute nicht wie sonst auf den Verkehr, sondern auf eine Schar Jugendlicher, die ihn schikanierte. Einer der Jungen hatte die Schiebegriffe des Rollstuhls gepackt und drehte ihn im Kreis, während die anderen versuchten, ihm die Tüte zu entreißen. Der Mann wurde in seinem Sitz hin- und hergeschleudert. Drunk Bob hatte den Gutteil des Tages gebraucht, um genug Geld von den Passanten für die Flasche zu erbetteln, und er dachte nicht daran, sie jetzt einfach so einer Horde Jungen zu überlassen, ganz gleich wie bedrohlich sie auch war. Er hielt die Tüte fest umklammert und flog nur so in seinem Rollstuhl umher. Doch die Flasche war ihm wichtiger, als sich an den Armlehnen festzuhalten.
    Das Gelächter der Jungen und ihre Spottrufe übertönten die Stimme des alten Mannes beinahe völlig. Aus den umliegenden Läden eilte daher auch niemand zu Hilfe. Mehrere Fußgänger passierten die Szene, doch keiner sagte ein Wort, nur eine alte Dame drohte den Halbstarken mit ihrem Gehstock. Doch auch sie floh, als einer von ihnen Anstalten machte, ihr die Tasche zu entreißen.
    Joel konnte sehen, dass Drunk Bob aus dem Rollstuhl zu rutschen drohte. Es würde nur noch Augenblicke dauern, bis der alte Mann auf der Straße lag, und dort hatte er kaum mehr eine Chance, sich zu verteidigen. Nicht dass Joel das Bedürfnis gehabt hätte, ein Held zu sein. Dennoch rief er: »Hey! Lasst den Typ in Frieden! Das is' doch 'n Krüppel, seht ihr das nich'?«
    Einer der Jungen sah für einen Moment auf, um festzustellen, wer es wagte, ihnen den Spaß zu verderben.
    »Mist«, murmelte Joel vor sich hin, als er erkannte, wer es war. Neal Wyatt und er sahen sich unverwandt in die Augen, und der Ausdruck, der über Neals Gesicht huschte, war unmissverständlich. Er sagte etwas über die Schulter. Seine Gang hörte augenblicklich auf, Drunk Bob zu drangsalieren. Joel war nicht so dumm zu glauben, dass sein Protest sie dazu bewogen hatte.
    Er wusste ganz genau, was als Nächstes passieren würde, rannte los, die Harrow Road entlang, und Neal und seine Freunde setzten sich hinter dem Absperrgitter in Bewegung. Neal führte die Meute an, und er grinste wie jemand, dem gerade ein Sack voll Geld in den Schoß gefallen war.
    Joel wusste, dass es ein Fehler war wegzulaufen. Er wusste, dass Neal seiner Gang beweisen wollen würde, dass er in der Lage war, ihn fertigzumachen: ihn, Joel, das kleine Würmchen, das er in Meanwhile Gardens hatte zerquetschen wollen, als Ivan Weatherall dazwischengegangen war; Joel, den Mistkerl, dem Hibah ihre Freundschaft angeboten hatte, ohne Neal zuvor nach seiner Meinung zu fragen.
    Joel hörte ihre Rufe hinter sich, während er in Richtung Lernzentrum lief. Die Straße hatte nur zwei

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