Am Ende war die Tat
mit so viel Schwung ins Gebäude, dass die Tür krachend gegen die Wand flog. Mehrere Kinder waren dabei, mit Holzleim, Spanplatten, Muscheln und Glasperlen ein Gemeinschaftskunstwerk zu schaffen. Majidah war in der Küche. Die Kinder schauten mit großen Augen auf, und Majidah kam in den Hauptraum. Ness machte sich bereit für die Strafpredigt der pakistanischen Frau: Lass sie doch. Sie soll nur loslegen.
Majidah musterte sie mit verengten Augen. Sie mochte Ness nicht, weil sie ihre Einstellung verurteilte, ganz zu schweigen von ihrer Kleidung und dem Grund, warum sie in der Kindertagesstätte arbeitete. Doch Majidah war eine Frau, die in ihren sechsundvierzig Lebensjahren vieles durchgemacht hatte und großes Leid hatte ertragen müssen - sowohl eigenes als auchdas Leid anderer Menschen. »Arbeite hart, jammere nicht, und sei unbeirrt«, lautete ihr Motto, und sie empfand Mitgefühl für diejenigen, die noch nicht zu dieser Einsicht gelangt waren.
Mit einem beredten Blick auf die Kater-Felix-Uhr an der Wand über dem Spielzeugregal sagte sie: »Du musst dich um Pünktlichkeit bemühen, Vanessa. Bitte hilf den Kindern beim Basteln. Wir beide unterhalten uns später.«
Joels Zusammenstoß mit Neal Wyatt hatte in mehrfacher Hinsicht Folgen. Einerseits war Joel von Stund an ständig auf der Hut. Andererseits löste der Vorfall einen Schreibschub aus. Immer mehr Wörter fügten sich zu mehr Gedichten, als er je für möglich gehalten hätte, und das Seltsamste war, dass es nicht die Art von Wörtern waren, aus denen man seiner bisherigen Meinung nach Gedichte hätte komponieren können. Es waren gewöhnliche Wörter. Wann immer ihm etwas wie »Brücke« oder »knien«, wie »treiben« oder »Entsetzen« in den Sinn kam, griff er nach seinem Notizblock. Das tat er so oft, dass Kendra irgendwann neugierig wurde und fragte, was er denn immerzu trieb, mit der Nase in seinem Schreibheft. Sie nahm an, dass er Briefe verfasste, und erkundigte sich, ob sie an seine Mutter gerichtet seien. Als Joel ihr erklärte, dass es sich nicht um Briefe, sondern um Gedichte handele, zog Kendra den gleichen Schluss wie Hibah, dass es nämlich Liebesgedichte sein müssten, und fragte ihn neckend, wer denn seine Angebetete sei. Doch ihr Necken war halbherzig, was sogar Joel merkte, obwohl all seine Aufmerksamkeit der Poesie galt. »Haste Dix noch ma' geseh'n, Tante Ken?«, konterte Joel. »Hast du«, korrigierte sie seine Sprache, ging aber nicht auf seine Frage ein.
Was Dix anging, redete Kendra sich ein, es sei ohnehin nicht Liebe gewesen. Wie hätte das auch möglich sein sollen, mit zwanzig Jahren Altersunterschied, die wie ein gähnender Abgrund zwischen ihnen klaffte. Sie sagte sich, es sei besser so, und sie beide könnten nun neue Wege beschreiten. Doch ihr Herz glaubte all dies nicht. Also versuchte sie, sich damit zuüberzeugen, dass es nur der Sex war. Daran klammerte sie sich, weil es vernünftig klang.
Da Kendra vollauf mit diesen Gedanken und Joel mit seinen Gedichten beschäftigt war, bemerkte nur Toby im Laufe der folgenden Tage eine Veränderung an Ness - ausgerechnet er. Plötzlich tat sie klaglos, was der Richter ihr aufgebrummt hatte, aber was tatsächlich dahintersteckte, ging weit über Tobys Fassungsvermögen hinaus. Er beruhigte sich mit seiner Lavalampe, schaute fern und erwähnte Joels Zusammenstoß mit Neal Wyatt mit keinem Sterbenswort.
Darum hatte Joel ihn gebeten. Seine Blutergüsse und Platzwunden erklärte er seiner Tante damit, dass er sich ein Skateboard ausgeliehen und sein Glück in der Skate-Bowl versucht habe, obwohl er doch keine Ahnung davon hatte. Kendra kaufte ihm die Geschichte ab und sprach von Schutzhelmen.
Schutz ... Er begann ein neues Gedicht. Als es fertig war, legte er es in den Koffer unter seinem Bett. Ehe er den Deckel wieder schloss, zählte er seine Werke. Er war verblüfft festzustellen, dass es schon siebenundzwanzig waren. Was würde er damit anstellen?
Er ging weiterhin zu Führt Worte statt Waffen, aber er las nie etwas vor und nahm auch nicht noch einmal an »Du hast das Wort« teil. Stattdessen beobachtete er, und die Kritik, die die anderen für ihre Werke ernteten, saugte er auf wie ein Schwamm.
Ivan Weatherall schenkte ihm während all dieser Zeit keine besondere Beachtung, sagte lediglich Hallo und wie sehr er sich freue, Joel bei Führt Worte statt Waffen zu sehen, fragte, ob er schreibe, und hakte nicht nach, wenn Joel den Kopf senkte, weil er zu verlegen war, um
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